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EuGH tritt Vorsorgeprinzip mit Füßen: Anbauverbot von MON810 für rechtswidrig befunden

(14.09.2017) Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern geurteilt: Ein von Italien erlassenes Anbauverbot der genmanipulierten Mais-Sorte MON810 sei unzulässig. Die Begründung lautet, dass MON810 bereits einer umfassenden wissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden sei und für unbedenklich befunden wurde. Der EuGH tritt damit das in der EU herrschende Vorsorgeprinzip mit Füßen.

Freispruch italienischer Bauern

Zum Anbau innerhalb der EU wurde die genmanipulierte Maislinie MON810 im Jahr 1998 zugelassen. Im Jahr 2013 verlangte die italienische Regierung dann von der Europäischen Kommission, den Anbau von MON810 durch sogenannte Sofortmaßnahmen zu verbieten. Denn es herrsche der begründete Verdacht gesundheitlicher Risiken in Form neuer wissenschaftlicher Studien zweier italienischer Forschungsgruppen.

Ein daraufhin verfasstes Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam zu dem Ergebnis, dass es angeblich keine neuen wissenschaftlichen Beweise gebe, die die verlangten Sofortmaßnahmen rechtfertigen und ihre früheren Schlussfolgerungen zur Unbedenklichkeit von MON810 in Frage stellen könnten. Die italienische Regierung ließ sich damit jedoch nicht zufrieden stellen und erließ stattdessen 2013 ein Dekret zum Verbot des Anbaus von MON810 in Italien.

Doch damit waren nicht alle italienischen Bauern einverstanden: Im Jahr 2014 setzten sich drei Landwirte über das verhängte Verbot hinweg und bauten die transgene Maissorte an. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet. Im Rahmen dieses Strafverfahrens wollte das dortige Landgericht vom EuGH wissen, ob im Lebensmittelbereich Sofortmaßnahmen auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips getroffen werden dürfen oder nicht.

Der EuGH hat nun entschieden, dass die Mitgliedstaaten keine Sofortmaßnahmen wie Verbote in Bezug auf in der EU zugelassenen genmanipulierten Lebens- und Futtermittel treffen dürfen, wenn nicht von einem ernsten Risiko für die Gesundheit oder die Umwelt auszugehen sei.

Vorsorgeprinzip wird durch "wissenschaftsbasierten Ansatz" ersetzt

Die Bürgerinnen und Bürger Europas vertrauen auf das Vorsorgeprinzip. Wenn wissenschaftlich nicht eindeutig bewiesen werden kann, dass ein Produkt sicher für Mensch, Tier und Umwelt ist, kann es aus Vorsorgegründen verboten werden. Der EuGH schmeißt mit seinem Urteil das Vorsorgeprinzip nun förmlich über den Haufen und entzieht den souveränen Mitgliedsstaaten damit die Möglichkeit, alleine über das Wohl ihrer EinwohnerInnen zu wachen.

In dem Urteil wird das Prinzip der Vorsorge dem "wissenschaftsbasierten Ansatz", wie er in den USA praktiziert wird, gegenüber gestellt. Dieser Ansatz besagt, dass ein Produkt so lange als sicher gilt, bis das Gegenteil bewiesen ist und steht damit im klaren Gegensatz zum Vorsorgeprinzip der EU.

Inakzeptable Risikobewertung völlig übergangen

Mit seinem Urteil lässt der EuGH völlig außer Acht, dass die Risikobewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen innerhalb der EU - vorgenommen durch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA - völlig inakzeptabel, undurchsichtig und fehlgeleitet ist, wie man am Beispiel von Glyphosat sehen kann. Der gesetzliche Rahmen der europäischen Risikobewertung in den Bereichen Gentechnik, Pestizide und Chemikalien ist dringend reformbedürftig.

Nationale Anbauverbote in Gefahr

Das Urteil hat weitreichende Folgen. Denn es ist fragwürdig, ob die von der EU-Kommission gefeierten nationalen Anbauverbote (opt-out), die einem jeden Mitgliedsstaat ein Selbstbestimmungsrecht über den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf ihrem Territorium einräumen sollten, einem Rechtsstreitfall überhaupt standhalten.

Bayer, Monsanto und Co. wittern hier vermutlich ihre neue Chance, den Anbau ihrer genmanipulierten Pflanzen auch auf unseren Äckern durchzusetzen.

Zulassung von Pestiziden ebenfalls betroffen?

Es wäre sogar denkbar, dass die Zulassung von Spritzmitteln von dem Urteil indirekt betroffen ist. Man stelle sich folgenden Fall vor:

Ein wahrscheinlich krebserregendes Mittel wie Glyphosat wird in der EU zugelassen. Einzelne Mitgliedsstaaten hingegen lassen die Pflanzenschutzmittel, die diesen Wirkstoff enthalten, in ihrem Land aus Vorsorgegründen nicht zu oder schränken deren Verwendung ein. Sollte nun ein Hersteller oder auch ein/e Landwirt/in gegen die Einschränkung oder das Verbot klagen, so könnte das EuGH-Urteil als Vorbild genommen werden um auch hier das Vorsorgeprinzip als nichtig zu betrachten.

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