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Öffentliche Stellungnahme auf Kritik an gemeinsamer Studie “Pestizid-Belastung der Luft”

Zitat Fabian Holzheid Stellungnahme Kritik Bayer Pestizid Studie


(15.10.2020) Vor zwei Wochen haben das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München die Studie „Pestizid-Belastung der Luft“ veröffentlicht. Nach der Veröffentlichung wurde uns von Seiten der Pestizidindustrie vorgeworfen, wir würden mit der Studie Alarmismus betreiben. Gemeinsam beziehen wir nun öffentlich Stellung.

Echte Pionierarbeit

Am 29.09.2020 haben das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und das Umweltinstitut München die Studie „Pestizid-Belastung der Luft“ veröffentlicht. Die Studie ist in Deutschland bislang einzigartig: Von niemandem wurde bisher so umfassend untersucht, ob und wie viele Pestizide sich fernab der Äcker in der Luft auffinden lassen.

Die Ergebnisse waren unter anderem: Es fanden sich insgesamt 138 Pestizidwirkstoffe an den 163 über ganz Deutschland verteilten Messstandorten in der Luft – und zwar auch weit entfernt von potentiellen Quellen. Das Totalherbizid Glyphosat war in allen Regionen Deutschlands nachweisbar. An drei Viertel aller Messstandorte wurden mindestens fünf und bis zu 34 Pestizidwirkstoffe und damit ein Cocktail von Pestiziden in unserer Atemluft nachgewiesen.

Substanzlose Kritik der Pestizidindustrie

Nach Veröffentlichung der Studie wurde dem Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und dem Umweltinstitut München vor allem von Seiten der Pestizidindustrie vorgeworfen, sie würden mit der Studie Alarmismus betreiben. Zu den KritikerInnen der Studie zählen der Industrieverband Agrar (die politische Interessensvertretung von 35 deutschen Pestizidherstellern), sowie Peter Müller, der Geschäftsführer der Bayer Crop Science, dem größten Pestizid- und Saatguthersteller der Welt mit einem Jahresumsatz von 19 Milliarden Euro in 2018.

Die Pestizid-Befürworter kritisieren nicht die Tatsache, dass die Studie Pestizid-Wirkstoffe an Orten nachweist, wo sie nicht hingehören. Ebensowenig kritisieren sie die Tatsache, dass die Belastung mit potenziell krebserregenden, erbgutschädigenden oder auf andere Weise schädlichen Stoffen nicht freiwillig erfolgt und damit das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Sie kritisieren, die nachgewiesenen Konzentrationen der Pestizid-Wirkstoffe seien so gering, dass von ihnen keine Gesundheitsgefahr ausgehe.

Wir stellen klar:
  1. Die gemessenen Werte, die allein dem Nachweis in der Atemluft dienen, mit Konzentrationen zu vergleichen, die zusätzlich über die Nahrung und damit den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden, – wie das beispielsweise Bayer tut – ist fachlich falsch. Die Studie zu Pestiziden in der Luft hat einen umfassenden Nachweis von Pestizid-Wirkstoffen in der Atemluft erbracht. Die eingesetzten Methoden können jedoch keine Konzentrationen messen. Das ist die Aufgabe weiterer Forschung, denn die Aufnahme von Pestiziden über die Lunge ist weitgehend unerforscht.

  2. Ein Transport von Pestiziden über die Luft und über weite Strecken hinweg (der sogenannte Ferntransport) wird im bisherigen europäischen Pestizid-Zulassungsverfahren vernachlässigt. Die zuständige Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA schließt zum Beispiel einen Lufttransport von Glyphosat über weite Strecken hinweg aus. Und auch die Pestizidhersteller suggerieren seit Jahren, dass Pestizide auf den Äckern blieben.

  3. Die humantoxikologischen Auswirkungen der gefundenen Stoffe waren nicht Gegenstand der Untersuchung. In der Studie steht dazu auf S. 104 ausdrücklich: »Es liegen aber keine Daten zur Auswirkung von über die Lunge aufgenommenen Pestizid-Wirkstoffen vor. Auch Aussagen zu Kumulations- und Synergieeffekten, die durch die Aufnahme von mehr als einem Wirkstoff zu erwarten sind, liegen nicht vor, da der Gesetzgeber in der Pestizidzulassung dazu keine systematische Untersuchung vorschreibt.«

  4. Die Pestizidhersteller müssen im Pestizid-Zulassungsprozess bislang jedoch nur Studien zur Wirkung einzelner Pestizid-Wirkstoffe auf Natur und Gesundheit vorlegen. Wie die Pestizide gemeinsam wirken, wurde bislang weder erfragt noch erforscht. Eine aktuelle Studie zum sogenannten Cocktail-Effekt beweist jedoch erstmals, dass selbst geringe, offiziell als unbedenkliche geltende Mengen von Pestizidrückständen auf Lebensmitteln aufgrund des Cocktaileffekts gefährliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben können. Welche Auswirkungen das Einatmen von Pestizid-Gemischen hat, muss dringend erforscht werden, Daten hierzu fehlen gänzlich.

  5. Auch die Auswirkungen der permanenten Belastung der Luft mit einer Vielzahl an Pestizid-Wirkstoffen auf Ökosysteme – ob in hohen oder niedrigen Mengen – sind nicht erforscht. Wir erleben derzeit das größte Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Die Auswirkungen von Pestiziden auf die Biodiversität sind weltweit von hoher Bedeutung. Das bereitet nicht nur uns, sondern u.a. auch dem Präsidenten des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, Sorgen. Es sei durchaus denkbar, dass sich Wirkstoffe an anderen Orten kombinieren und gewissermaßen als Cocktail auf Tiere und Pflanzen wirkten, kommentierte der UBA-Chef die Studie.

    FAZIT:

    Solange es 
    a) keine Untersuchungen und damit keinen Beleg für die Ungefährlichkeit von (einem Cocktail an) Pestiziden in der Luft für Mensch und Natur gibt und solange
    b) das europäische Pestizid-Zulassungsverfahren auf der falschen Annahme beruht, dass ein Ferntransport von Pestiziden zu vernachlässigen sei oder gar nicht stattfände,

    muss das Vorsorgeprinzip gelten:
     
    Die Pestizide, die sich am meisten verbreiten und nachweislich unter falschen Voraussetzungen zugelassen wurden, müssen sofort vom Markt. Eine wie von Bayer Crop Science oder dem Industrieverband Agrar getätigte Aussage über die vermeintliche Unbedenklichkeit der Befunde ist angesichts der fehlenden Forschung nicht haltbar. Die Studie „Pestizidbelastung der Luft“ hat als Pionierarbeit den dringenden weiteren Forschungsbedarf in diesem Feld offengelegt.
Wir sind gesprächsbereit

Peter Müller, der Geschäftsführer von Bayer Crop Science, hat das Umweltinstitut München zu einem Dialog über die Studie „Pestizid-Belastung der Luft“ eingeladen. Das Umweltinstitut und das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft nehmen als gemeinsame Auftraggeber der Studie das Angebot gerne an. Da das Thema von hohem öffentlichen Interesse ist, möchten wir diesen Dialog öffentlich führen.

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