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Neue Studie zu Pestizid-Cocktails: Der Mix macht das Gift


(9.10.2020) Eine neue Studie weist einmal mehr auf schwerwiegende Mängel in der Risikobewertung von Pestiziden hin: Der sogenannte Cocktail-Effekt spielt in den Zulassungsverfahren durch die EU-Behörden keine Rolle. Wie neu eingesetzte Analysemethoden jetzt beweisen, können auch geringste Rückstandsmengen der Ackergifte die Gesundheit schädigen – besonders als Gemisch entfalten die Stoffe ihre giftige Wirkung.

Immer wieder beharren Pestizidhersteller wie Bayer und Co. auf der angeblichen Ungefährlichkeit ihrer Produkte, zumindest bei „bestimmungsgemäßer Anwendung“. Denn schließlich hätten sie eines der „strengsten Zulassungsverfahren der Welt“ durchlaufen, bevor sie auf den Acker kämen. Für diese „strengen“ Zulassungsverfahren ist die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zuständig.

Macht wirklich die Dosis das Gift?

Die Wirkungsweisen von einzelnen Pestizidwirkstoffen werden zunächst von der EFSA getestet.  Anschließend wird darüber entschieden, welche Mengen ein Mensch pro Tag ohne relevante Gesundheitsgefährdung aufnehmen könnte. Dies ergibt die Tageshöchstdosis (engl. Acceptable Daily Intake, ADI). Die Annahme dabei lautet: Erst ab der Aufnahme einer bestimmten Menge sei ein Stoff gesundheitlich bedenklich. Pestizidrückstände in der Umwelt oder auf Lebensmitteln verteidigt die Pestizidindustrie deshalb gerne mit dem Mantra „nachweisbar ist nicht gleich gefährlich“ - solange nicht die von der EFSA festgelegten Tageshöchstdosen überschritten würden.

Doch für krebserregende und DNA-schädigende Stoffe (wie beispielsweise Glyphosat - laut WHO „wahrscheinlich krebserregend“) gibt es keine Untergrenze, unter der sie sicher sind. Selbst kleinste Mengen können eine gesundheitsschädigende Wirkung im Körper entfalten. Die neuesten Erkenntnisse zeigen nun, dass Cocktail-Effekte auch bei anderen Pestiziden gesundheitsgefährdende Auswirkungen haben – selbst, wenn sie in Mengen unterhalb der Tageshöchstdosis aufgenommen werden.

Das zweite Mantra der Pestizidhersteller und der ihnen gewogenen Zulassungsbehörden lautet: Andere krebserregende Stoffe nehmen wir doch in viel höheren Dosierungen zu uns, zum Beispiel durch Alkohol, Zigaretten oder Grillfleisch. Auch diese Argumentation hinkt, denn schließlich entscheiden wir selbst, ob wir uns dieser Gefahr aussetzen. Das ist bei der Belastung der Luft mit Pestiziden – wie beispielsweise beim Passivrauchen – nicht der Fall. Vorrangig wegen dieser Unfreiwilligkeit hat sich in Deutschland das Rauchverbot in Innenräumen durchgesetzt.

Die Mischung macht’s!

In der neuen Studie untersuchten Wissenschaftler:innen rund um den Forscher Robin Mesnage gezielt die Wechselwirkungen von Pestizidwirkstoffen (u.a. Glyphosat) mit modernen Hochdurchsatz-Omics-Methoden, die in üblichen, rechtlich vorgeschriebenen Testverfahren bisher keine Verwendung finden. Die Forscher:innen fanden in den Stoffwechselprodukten Hinweise auf eine Gefahrenreaktion der Zellen (einschließlich oxidativem Stress) und auch das Wachstum der Darmbakterien wurde durch den Pestizid-Cocktail negativ beeinflusst. Negative Einflüsse auf die Leber wurden von den Forscher:innen ebenfalls registriert. Während mit den toxikologischen Standardmethoden auch in dieser Studie wenig bis keine Anzeichen für negative gesundheitliche Folgen gefunden wurden, offenbarte die Analyse auf der molekularbiologischen Ebene ganz andere Erkenntnisse: Im Gemisch können selbst geringe, offiziell als unbedenklich geltende Mengen von Pestizidrückständen gesundheitliche Schäden zur Folge haben. Auch die als ungefährlich eingestufte Tageshöchstdosis eines Wirkstoffs setzt den Körper unter toxikologischen Stress, wenn der Stoff im Körper mit anderen Mitteln zusammentrifft.           

Risikobewertung unter Laborbedingungen

Die Untersuchungen von Mesnage und seinen Kolleg:innen beweisen einmal mehr: Die Zulassungsverfahren der EFSA können weder die Umwelt noch unsere Gesundheit ausreichend schützen. Denn die Tests werden unter Laborbedingungen durchgeführt, die nicht der Realität entsprechen. Seit Jahren kritisieren wir, dass der von der aktuellen Studie nachgewiesene Cocktail-Effekt in den Verfahren ignoriert wird. Im Labor werden ausschließlich die Wirkungen der Pestizide für jeden Stoff separat getestet, während Mensch und Natur einer Mischung von zahlreichen Wirkstoffen ausgesetzt sind, wie unsere jüngsten, deutschlandweiten Messungen zu Pestiziden in der Luft beweisen: Nicht nur sechs Pestizid-Wirkstoffe, wie in der neuen Studie untersucht, sondern bis zu 34 konnten wir gesammelt an einem Messstandort nachweisen. Dieser Giftcocktail kann viel höhere Schäden anrichten als jeder Stoff einzeln und für sich.

Nur keine Pestizide sind gute Pestizide

Als Konsequenz ihrer Beobachtungen ziehen die Forscher:innen die von der EFSA festgesetzten Grenzwerte in Zweifel und fordern, auch die molekularbiologischen Analysemethoden in ihre Testverfahren zu integrieren. Klar ist jedoch, dass es immer Rückstände der Ackergifte in unserer Umwelt und in unseren Lebensmitteln geben wird, solange diese in der Landwirtschaft, im Privatgebrauch, entlang von Bahnstrecken und auf öffentlichen Plätzen eingesetzt werden dürfen.

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