Glyphosat: Verbot in Österreich, neuer Skandal in Deutschland

Protestaktion gegen Glyphosat, Bild: Jörg Farys
(05.12.2019) Während Österreich Glyphosat verbietet, kommt in Deutschland ein neuer Skandal um das Ackergift ans Licht. Auch die deutsche Bundesregierung muss jetzt den Koalitionsvertrag und den Bürgerwillen umsetzen und das Gift verbieten.
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Die österreichische Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein will das Glyphosatverbot nicht in Kraft setzen. Sie begründet das damit, dass nicht schon der Gesetzentwurf in das Notifizierungsverfahren der EU eingespeist wurde - also mit einem Formfehler der Regierung.
++++ Update 11.12.2019 ++++
Die SPÖ hat einen neue Gesetzesänderung für ein Glyphosatverbot eingebracht. Zusätzlich soll der Nationalrat auch einen Entschließungsantrag beschließen, der die Regierung dazu zwingt, das Notifizierungsverfahren korrekt durchzuführen. Mit den Stimmen von Grünen und FPÖ wurde der Antrag beschlossen. Die EU-Kommission hat nun also erneut drei Monate Zeit, Stellung zu nehmen.
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Das Totalherbizid (ein Stoff, der alle Pflanzen tötet) Glyphosat ist das am meisten verwendete Ackergift in Deutschland, Europa und weltweit. Aufgrund seiner hohen Verbreitung findet es sich fast überall und etwa auch im Urin der meisten Menschen in Deutschland. Noch dramatischer ist die Situation in Südamerika, wo das Mittel im Zusammenhang mit genmanipulierten glyphosatresistenten Pflanzen in großen Mengen versprüht wird.
Dabei gilt das Mittel als wahrscheinlich krebserregend bei Menschen, schädigt wichtige Nützlinge wie Honigbienen und Regenwürmer und zerstört mit seiner starken und undifferenzierten Wirksamkeit die Nahrungsgrundlage ganzer Ökosysteme. Schon der Bewertungsprozess durch deutsche und europäische Behörden war von Skandalen geprägt. Recherchen der Organisaiton LobbyControl sowie der Süddeutschen Zeitung und der ARD Sendung Monitor decken nun einen weiteren auf und entlarven vermeintlich seriöse Studien als Auftragswerke für Monsanto:
Der Agrarwissenschaftler Michael Schmitz, ehemals Professor für Agrarwirtschaft an der Universität Gießen, kam 2012 in einer Studie zu dem Schluss, dass es schlecht für die Landwirtschaft, die VerbraucherInnen und die Umwelt wäre, wenn Glyphosat verboten wird. Die Studie wurde in wissenschaftlichen Veröffentlichungen benutzt und sogar vom staatlichen Agrarforschungsinstitut JKI verbreitet. Was dabei fast niemand wusste: In Auftrag gegeben und bezahlt hatte sie der Konzern Monsanto, der Glyphosat entwickelt hat und am Verkauf des Gifts viel Geld verdient.
Erst jetzt wurden diese Zusammenhänge öffentlich. Sie erinnern fatal an viele andere Skandale rund um die Zulassung von Glyphosat: Europäische und deutsche Behörden, die die Zusammenfassungen von industriefinanzierten Studien eins zu eins abschrieben oder gekaufte WissenschaftlerInnen in den USA.
Während Glyphosat in Deutschland wieder einmal für Negativ-Schlagzeilen sorgt, darf sich Österreich über ein schnelles Aus für das Ackergift freuen: Nach dem Ende der rechtskonservativen Regierung wegen des Ibizza-Skandals im Sommer 2019 nutzte die sozialdemokratische SPÖ die Gunst der Stunde. Sie brachte im Parlament zusammen mit der Fraktion Jetzt (einer Abspaltung der Grünen, die es selbst nicht in den Nationalrat geschafft hatten) und der rechtsextremen FPÖ ein Verbot des Verkaufs von Glyphosat in Österreich ab dem 1. Januar 2020 durch.
Doch die Zustimmung der FPÖ war teuer erkauft: In das Gesetz wurde eine Sollbruchstelle eingefügt. Wenn die EU-Kommission innerhalb von drei Monaten nach der Notifizierung eine ausführliche Stellungnahme abgibt, würde es nicht in Kraft treten. Die Notifizierung ist ein System, mit der Mitgliedstaaten Gesetzentwürfe, die sich auf den Binnenmarkt ausüben könnten, der Kommission, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und den anderen Mitgliedstaaten für Kommentare vorlegen. Die allgemeine Erwartung war, dass das Gesetz mit dieser Klausel nie in Kraft treten wird.
Doch die ausführliche Stellungnahme der Kommission kam nicht. Die Frist ist inzwischen abgelaufen und die Kommission hat nur einen Kommentar abgegeben, der kritisiert, dass das Gesetz zuerst beschlossen und dann notifiziert wurde, obwohl das System doch eigentlich für Gesetzentwürfe gedacht ist. Inhaltliche Einwände oder eine Stellungnahme, in der die Kommission das Gesetz als nicht vereinbar mit EU-Recht bezeichnet, gibt es nicht. So tritt das Gesetz zum Jahreswechsel in Kraft und Österreich wird glyphosatfrei.
Das Verbot in Österreich hat auch Folgen für Deutschland. Denn bisher behauptete die Bundesregierung in Berlin, dass ein pauschales Glyphosatverbot auf nationaler Ebene nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Die zuständigen Ministerinnen für Landwirtschaft (Julia Klöckner (CDU)), und Umwelt (Svenja Schulze (SPD)), verteidigten diese Haltung immer wieder. Sie schoben so die Verantwortung für ihr Nichtstun nach Brüssel und die im Koalitionsvertrag vereinbarte „schnellstmögliche“ Beendigung des Glyphosateinsatzes in Deutschland auf einen Zeitraum nach der nächsten Wahl.
Doch jetzt hat Österreich Glyphosat innerhalb eines halben Jahres verboten. Und zwar ohne, dass aus Brüssel grundsätzliche Einwände kamen. Für eine weitere Verzögerung des Glpyhosat-Ausstiegs in Deutschland gibt es also keine Entschuldigung mehr.
Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Gesetz vorzulegen, das Glyphosat noch im Jahr 2020 verbietet, um Menschen und Natur vor Schaden zu schützen. Falls Julia Klöckner und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erst vor kurzem eine Wende in der Agrarpolitik ausgeschlossen hat, einen solchen Schritt verweigern, sollte die neue SPD-Führung jetzt auf den Koalitionsvertrag pochen. Dort ist das Ziel festgeschrieben, „die Anwendung [glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel] so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden.“ Nimmt man das österreichische Verbot als Maßstab, dann ist „so schnell wie möglich“ etwa ein halbes Jahr.
Unser Briefwechsel mit der Bundesregierung zur Frage, ob EU-Mitgliedstaaten Pestizide verbieten können
Brief an Bundesministerin Schulze
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