Stop TTIP besiegt EU-Kommission vor Gericht
(Luxemburg, 10.05.2017) Über 30 Monate verhandelte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg über die Klage der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) "Stop TTIP" gegen die EU-Kommission. Heute wurde entschieden: Die Ablehnung der EBI durch die Kommission war nicht rechtmäßig.
In seinem Urteil gibt der EuGH der Klage voll statt. Das Gericht beruft sich dabei auf den "Grundsatz der Demokratie, der zu den grundlegen Werten gehört, auf die die Union sich gründet" und stellt fest, dass TTIP und CETA "unbestreitbar eine Änderung der Rechtsordnung der Union herbeiführen" würden und daher Teil einer demokratischen Debatte sein müssen. Wir freuen uns sehr über dieses Urteil. Für die Kommission, die solche Handelsabkommen am liebsten hinter verschlossenen Türen verhandeln will, ist es eine herbe Niederlage.
Kritisch ist jedoch die lange Dauer des Verfahrens. Rund 30 Monate verhandelte das Gericht über unsere Klage. In der Zwischenzeit ist CETA auf europäischer Ebene ratifiziert worden. Die Kommission hat, obwohl sie klar im Unrecht war, einen Teil ihrer Ziele erreicht. Bei der angekündigten Reform des Instruments EBI sollte - neben vielen anderen - dieser Aspekt eine Rolle spielen. Ein Vorbild könnte die Regel bei bayerischen Volksbegehren sein: Wenn die Landesregierung ein Volksbegehren ablehnt, folgt automatisch eine Prüfung durch das Verfassungsgericht - und zwar mit einer Frist von nur drei Monaten.
Anfang 2014 beschlossen einige Organisationen, darunter das Umweltinstitut München, eine Europäische Bürgerinitative gegen TTIP und CETA zu starten. Innerhalb eines Jahres müssen 1.000.000 Unterschriften gesammelt und in sieben EU-Mitgliedsstaaten ein Mindestquorum überschritten werden. Dann muss die Kommission und das Europaparlament uns anhören und antworten. Obwohl es eigentlich ein sehr schwaches Instrument ist, hatte es sich beim Kampf gegen Wasserprivatisierung als erfolgeich erwiesen. Außerdem schafft eine supranationale Bürgerinitiative die Möglichkeit, europaweit alle Organisationen zusammenzubringen, die sich gegen TTIP engagieren und eine gemeinsame, große Aktion zu starten. Das war definitiv eine richtige Einschätzung.
Am 15.7.2014 registrierten wir die EBI offiziell bei der Kommission und gaben eine Pressekonferenz in Brüssel. Immer mehr Organisationen schlossen sich der Initiative an. Wir schufen ein Koordinationsbüro und bereiteten den Start der Unterschriftensammlung Ende September vor.
Doch die Kommission machte uns einen Strich durch die Rechnung. Am 11.9.2014 erreichte uns die Nachricht, dass sie eine Registrierung der EBI nicht zulässt. Das Bündnis entscheidet schnell: Anfang Oktober beginnen wir mit einer selbstorganisierten EBI. Ohne das Plazet der Kommission haben wir formal zwar keinen Einfluss. Trotzdem erreichen wir das Ziel, Menschen europaweit zu aktivieren und zusammenzuführen. In nur zwei Monaten sammeln wir die erste Million Unterschriften. Zum 60. Geburtstag von Kommissionspräsident Jean-Claude Junker am 9.12.2014 präsentieren wir sie bei einer kleinen Party in Brüssel einem Junker aus Pappmaché - der echte will nach wie vor nichts mit uns zu tun haben.
Gleichzeitig legen wir Klage gegen die Entscheidung der Kommission ein. Die juristische Begründung der Kommission für die Ablehnung der EBI war ziemlich fadenscheinig und wahrscheinlich vor allem politisch geprägt. Zudem wären Bürgerinitiativen zu laufenden Projekten und internationalen Verhandlungen in Zukunft sehr schwer durchzuführen, wenn die Rechtsposition der Kommission sich durchsetzt. Am 10.11.2014 reichte unser Prozessbevollmächtigter, Prof. Kempen, Klage beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ein.
Innerhalb von einem Jahr konnten wir insgesamt 3.284.289 Unterschriften sammeln und das Quorum in 23 von 28 Mitgliedsstaaten erreichen. Am 9.11.2015 nahm Martin Schulz als Präsident des Europäischen Parlaments die Unterschriften entgegen.
Der EuGH hat mit seinem heutigen Urteil die Entscheidung der Kommission, unsere Europäische Bürgerinitiative nicht zuzulassen, aufgehoben. Wir könnten nun eine EBI gegen TTIP und CETA starten. Das werden wir (zumindest vorerst) nicht tun. CETA wurde auf europäischer Ebene bereits ratifiziert, TTIP ist offiziell noch im "Eisschrank" und die wichtigsten Kampagnenziele - Aufmerksamkeit für das Thema und ein arbeitsfähiges Bündnis gegen diese Abkommen auf europäischer Ebene - haben wir erreicht.
Wir fordern jetzt, dass im Europäischen Parlament eine Anhörung stattfinden muss, in der wir unsere Kritik an der aktuellen Handelspolitik darlegen können. Hätte die Kommission unsere Initiative 2014 registriert, hätten wir eine solche Anhörung nach der Unterschriftenübergabe automatisch bekommen. Das ist das Mindeste, was wir nach diesem Urteil erwarten können. Und es gilt umso mehr, als dass Handelskommissarin Malmström plant, TTIP nach dem Wahljahr 2017 wieder aus dem Eisschrank zu holen.
Der Sieg vor Gericht richtet sich nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Der Europäische Gerichtshof stärkt Europäische Bürgerinitiativen und stellt ganz explizit fest, dass internationale Handelsverträge Gegenstand einer EBI sein dürfen. Insgesamt ist das ein guter Tag für die Demokratie.
Zum weiterlesen
Benachrichtigungen