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Offener Brief: Pestizidanwendung offenlegen!

Offener Brief für mehr Pestizidtransparenz

Offener Brief für mehr Pestizidtransparenz © Serhii, Photoagriculture / stock.adobe.com

(27.04.2022)  Gemeinsam mit einem breiten Bündnis aus Umweltverbänden, Wasserversorgern, Wissenschaftler:innen und weiteren Unterstützer:innen fordern wir, dass Pestizideinsätze in Deutschland offen einsehbar sind. Denn nur dann können Wissenschaftler:innen die Umwelt- und Gesundheitsgefahren von Pestiziden wirklich einschätzen, ist eine messbare und erfolgreiche Pestizidreduktion möglich und ist das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen gewährleistet.

In einem offenen Brief an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fordern wir ein System zur Erfassung, Veröffentlichung und Auswertung der Pestizidanwendungen in der Landwirtschaft. Zudem stellen wir darin konkrete Kriterien für echte Pestizidtransparenz durch ein solches System vor. Ein breites Bündnis aus 24 Nichtregierungs-Organisationen, darunter Umweltschutzverbände, Wasserversorger und ein Portal für Informationsfreiheit, sowie mehrere renommierte Wissenschaftler:innen aus Umwelt- und Gesundheitsforschung unterstützt unsere Forderungen. Denn uns alle vereint das begründete Interesse an den Daten über Pestizideinsätze in Deutschland. 

Status Quo: Intransparenz bei Pestizid-Anwendungsdaten

Bisher weiß niemand, wie hoch der tatsächliche Pestizideinsatz auf Deutschlands Feldern ist. Und das, obwohl Landwirt:innen in Deutschland genau dokumentieren müssen, welche Pestizide sie wann, wo und in welchen Mengen auf ihren Feldern verwenden. Doch die so aufgezeichneten Daten werden nirgends zentral erfasst, geschweige denn ausgewertet oder veröffentlicht. Selbst die Behörden tappen im Dunkeln und veröffentlichen lediglich die Verkaufszahlen von Pestizidwirkstoffen sowie die Ergebnisse von freiwilligen Umfragen auf einzelnen Höfen.

Die Wissenschaft braucht Daten über Pestizideinsätze!

Die verfügbaren Informationen reichen jedoch bei Weitem nicht aus, um die Risiken von Pestiziden für Umwelt und Gesundheit wissenschaftlich zu bewerten. Wissenschaftler:innen betonen seit Langem, dass sie dafür die genauen Anwendungsdaten brauchen. Seien es gefährliche “Cocktaileffekte” beim Aufeinandertreffen mehrerer Pestizidwirkstoffe, die Ursachen der hohen Pestizidbelastung von Gewässern oder der Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit Pestiziden und bestimmten Krankheiten wie Parkinson: Das sind nur einige offene Fragen, für deren Beantwortung diese Informationen nötig sind.

„Die fehlende Verfügbarkeit von Daten über Pestizideinsätze verhindert wichtige Analysen und verschleiert so eine möglicherweise entscheidende Ursache für den Biodiversitätsverlust.“

Prof. Ralf Schulz, Ökotoxikologe

„Um die Ursachen der hohen Belastung von Gewässern, auch oberhalb von gesetzlichen Vorgaben, zu identifizieren, ist Datenverfügbarkeit unerlässlich.“

Prof. Ralf Schäfer, Ökotoxikologe

„Es gibt Hinweise, dass Pestizide das Risiko an Parkinson zu erkranken, erhöhen können. Um diesen Zusammenhang besser erforschen zu können, sollten Pestizideinsätze erfasst und offengelegt werden.“

PD Dr. Kathrin Brockmann, Oberärztin und Leiterin der Parkinson-Ambulanz an der Uniklinik Tübingen

„Forscher*innen benötigen schon allein durch den Wissensfortschritt zu Biodiversitätsschäden in den letzten Jahren die Anwendungsdaten zu Pflanzenschutzmitteln für eine Risikoanalyse. Bislang werden die Pestizidanwendungen von allen Landwirten zwar ordentlich dokumentiert, diese Daten aber für die Forschung nicht verfügbar gemacht.“ 

Thomas Hörren, Entomologe

„Nur wenn die Aufwandmengen aller Pestizide, die in Form von Tankmischungen und Spritzserien auf einem Feld ausgebracht werden, und die zeitliche Abfolge der Applikationen vollständig offengelegt werden, ist eine seriöse Umweltrisikoabschätzung der entstehenden Pestizidmischungen möglich.“

Prof. Andreas Schäffer, Ökotoxikologe

Daten über Pestizidanwendungen sind Umweltinformationen
Justitia mit verbundenen Augen

Rechtlich ist die Lage klar: Jede:r Bürger:in muss Zugang zu Daten über Pestizideinsätze ermöglicht werden! Bild: S. Hermann & F. Richter auf Pixabay

Hinzu kommt: Bei den Aufzeichnungen der Landwirt:innen über ihre Pestizideinsätze handelt es sich um sogenannte Umweltinformationen. Diese müssen gemäß der EU-Umweltinformationsrichtlinie allen Bürger:innen auf Antrag zugänglich gemacht werden. Das Gesetz verlangt sogar, dass die Behörden derartige Informationen so umfassend wie möglich öffentlich zugänglich machen und aktiv verbreiten sollen – insbesondere digital.  Doch die Realität sieht anders aus: Regelmäßig lehnten Behörden in Deutschland die Herausgabe von Informationen über Pestizideinsätze ab, häufig mit der Begründung, dass sie selbst nicht über die Daten verfügen. Deswegen landeten in der Vergangenheit viele Anfragen vor Gericht. So auch eine unserer Anfragen an das Land Brandenburg. Im vergangenen Jahr bestätigten mehrere Urteile schließlich: Der Zugang zu Einsatzdaten von Pestiziden ist ein “Jedermannsrecht”! Als Reaktion darauf haben die Agrarminister:innen der Länder den Bund kürzlich zum wiederholten Male gebeten, ein geeignetes einheitliches Aufzeichnungssystem für Pestizid-Anwendungsdaten zu erarbeiten.

Unsere Kriterien für echte Pestizidtransparenz

In unserem offenen Brief teilen wir Cem Özdemir und Steffi Lemke mit, welche Kriterien ein künftiges System zur Erfassung und Veröffentlichung der Pestizideinsätze aus unserer Sicht zwingend erfüllen muss, um echte Transparenz zu bringen:

  • Landwirt:innen sollen ihre bereits verpflichtenden Aufzeichnungen über Pestizidanwendungen künftig digital in einem einheitlichen Online-Formular übermitteln.
  • Zusätzlich zu den bereits verpflichtenden Angaben sollten Angaben zur Notwendigkeit der durchgeführten Pestizidbehandlung gemacht werden.
  • Die von den Anwender:innen eingegebenen Daten sollten automatisiert auf Plausibilität geprüft und Beratungshinweise für Risikominderungsmaßnahmen von den Behörden übermittelt werden.
  • Die Informationen müssen in einem leicht bedienbaren Online-Kartentool lokalisierbar und öffentlich einsehbar sein.
  • Die Behörden sollten auf Basis der so erfassten Daten einen jährlichen Bericht veröffentlichen, in dem sie die Entwicklung der Pestizidanwendungen darstellen.
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