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EU-Kommission bringt Gesetz zur Pestizidreduktion auf den Weg

Die EU-Kommission will eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 rechtsverbindlich festschreiben (Bild: Traktor © Fotalia).

Die EU-Kommission will eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 rechtsverbindlich festschreiben (Bild: Traktor © Fotalia).

(24.6.2022) Bereits Ende März hätte die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag zur Pestizidreduktion in Europa vorstellen sollen. Doch die Agrarindustrie lobbyierte dagegen und nutzte den Krieg in der Ukraine aus, um die dringend notwendige Ökologisierung der Landwirtschaft zu blockieren. Es kam zu einer Verschiebung. Mit drei Monaten Verspätung hat die EU-Kommission nun endlich den längst überfälligen Vorschlag für ein Pestizidreduktions-Gesetz vorgelegt. Dieser sieht eine Halbierung des Pestizideinsatzes innerhalb der nächsten zehn Jahre vor.

Dass die EU den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis 2030 halbieren soll, ist eines der erklärten Ziele der Farm-to-Fork-Strategie („Vom Hof zum Teller“), die bereits 2020 als Teil des europäischen „Green Deals“ von den EU-Institutionen beschlossen wurde. Mit dieser Strategie will die EU den Übergang zu einer fairen, gesunden und umwelt-freundlichen Lebensmittelproduktion schaffen. Teil dieser Transition soll nach dem Willen der EU auch sein, dass deutlich weniger Ackergifte in unserer Umwelt landen.

Bisher war die Pestizidreduktion um 50 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre allerdings eine reine politische Absichtserklärung ohne bindenden Charakter. Nun will die EU-Kommission die Halbierung des Einsatzes von Ackergiften in einer EU-Verordnung festschreiben, also einem verbindlichen Rechtsakt, der von allen EU-Ländern umgesetzt werden muss.

Die Hälfte an Ackergiften ist immer noch zu viel

Dass die EU nun erstmals in ihrer Geschichte konkrete Pestizid-Reduktionsziele rechtsverbindlich festschreiben will, ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Denn wie der EU-Vizepräsident Frans Timmermanns richtig feststellte: Ohne Pestizidreduktion droht eine Nahrungskrise. Allerdings ist eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 nicht ausreichend. Angesichts des dramatischen Artensterbens, das auch unsere eigenen Lebensgrundlagen bedroht, müssen wir vollständig aus der Nutzung von Ackergiften aussteigen. Im Rahmen unserer europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ schlagen wir einen schrittweisen Ausstieg vor: Wir halten eine Reduktion des Pestizideinsatzes um mindestens 80 Prozent bis 2030 für notwendig und machbar, sowie den Komplettausstieg bis spätestens 2035. Landwirt:innen sollen bei dieser Umstellung finanziell und beratend unterstützt werden.

Halbierung für Mitgliedsstaaten nicht verpflichtend

Außerdem enthält der Vorschlag für die neue EU-Verordnung leider einen entscheidenden Mangel. Zwar soll es für die Europäische Union als Ganzes verpflichtend werden, den Pestizideinsatz innerhalb der nächsten zehn Jahre zu halbieren, doch für die einzelnen Mitgliedsstaaten gilt dies nicht. Die 27 EU-Länder sollen nur dazu verpflichtet werden, eigene nationale Reduktionsziele zu definieren, die sogar bei nur 35 Prozent liegen dürfen. So soll Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Ländern sichergestellt werden, die in der Vergangenheit unterschiedlich hohe Mengen an Pestiziden ausgebracht und auch unterschiedliche Fortschritte bei der Reduktion erzielt haben. Allerdings ist äußerst fraglich, wie es gelingen soll, EU-weit den Pestizideinsatz zu halbieren, wenn einzelne Mitgliedsstaaten sich weniger ambitionierte Reduktionsziele stecken können.

Pestizid-Halbierung schön gerechnet

Ein weiteres Minus am Gesetzesvorschlag ist die Art und Weise, wie die Pestizid-Reduzierung berechnet werden soll. Die EU-Kommission will dafür weiterhin einen Indikator nutzen, den Umweltschutzorganisationen und sogar der Europäische Rechnungshof schon lange als ungeeignet kritisieren. Denn der sogenannte HR1-Indikator (Harmonized-Risk-Indicator 1) berücksichtigt überproportional die Menge der eingesetzten Wirkstoffe gegenüber deren Giftigkeit. So gibt es aber beispielsweise moderne Insektengifte, die auch in sehr geringen Mengen hoch toxisch sind, während eine höhere Menge von anderen Wirkstoffen eine viel geringere giftige Wirkung hat.

Da die weniger giftigen Stoffe vor allem in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, führt die Verwendung dieses Indikators zu einer Diskriminierung der Öko-Landwirtschaft. Den HR1-Indikator als Berechnungsgrundlage zu nutzen, würde dementsprechend jede Umstellung von konventioneller auf ökologische Landwirtschaft als eine Erhöhung der Risiken durch den Pestizideinsatz darstellen. Gleichzeitig würde der Indikator die konventionelle Landwirtschaft mit ihrem Einsatz hoch-toxischer Substanzen übervorteilen, was die Pestizidreduktion insgesamt komplett unterminieren könnte.

Pestizidverbot in „sensiblen Gebieten“

Dem gegenüber ist zu begrüßen, dass der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide in bestimmten, „besonders sensiblen“ Gebieten verboten werden soll. Hier geht es einerseits um ökologisch besonders wertvolle Gebiete, das heißt Schutzgebiete wie beispielsweise FFH-Gebiete oder Wasserschutzgebiete. Andererseits sollen Bereiche, die von der Bevölkerung genutzt werden, vor dem gesundheitsschädigenden Einfluss der Pestizide sicher sein, das heißt beispielsweise öffentliche Parks und Wege, städtische Grünflächen oder Sportanlagen. Darüber hinaus will die EU-Kommission den Einsatz der Gifte dort verbieten, wo sich in erster Linie „gefährdete Personengruppen“ aufhalten, das heißt Menschen, die bei der Bewertung akuter und chronischer Gesundheitsauswirkungen von Pestiziden besonders zu berücksichtigen sind. Dazu zählen schwangere und stillende Personen, Kinder im Mutterleib, Säuglinge, Kinder, ältere Menschen, sowie Arbeitnehmer:innen und Anwohner:innen, die über einen längeren Zeitraum einer hohen Pestizidbelastung ausgesetzt sind.

Wir kämpfen weiter für ein pestizidfreies Europa!

Der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission muss nun von den anderen EU-Institutionen, das heißt dem EU-Parlament und dem Europäischen Rat (der Vertretung der nationalen Regierungen) angenommen werden. Diese sogenannten Trilog-Verhandlungen bergen die Gefahr einer Verwässerung des EU-Pestizidreduktionsgesetzes, geben uns aber auch die Chance, Druck für wichtige Nachbesserungen zu machen. Gemeinsam mit unseren Verbündeten in ganz Europa werden wir dranbleiben und immer wieder deutlich machen, dass nur der Komplettausstieg aus chemisch-synthetischen Pestiziden und eine umfassende Agrarwende die Artenvielfalt und unsere eigene Zukunft sichern werden.

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