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EU verschiebt neues Gesetz zur Pestizidreduktion

Die Umsetzung der Pestizidreduktionsziele der EU wurde auf die lange Bank geschoben (© nmann77 / adobe stock).

Die Umsetzung der Pestizidreduktionsziele der EU wurde auf die lange Bank geschoben (Bild: © nmann77 / adobe stock).

(23.3.2022) Dass der Pestizideinsatz in Europa bis zum Jahr 2030 halbiert werden soll, ist das erklärte Ziel der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments. Doch jetzt hat es die Pestizidlobby geschafft, die Umsetzung auf die lange Bank zu schieben. Der Versuch der Agrarindustrie den Krieg in der Ukraine auszunutzen, um die Ökologisierung der Landwirtschaft zu blockieren, scheint vorerst aufzugehen.

Pestizidreduktion eigentlich beschlossene Sache

50 Prozent weniger Pestizide sollen bis 2030 in der Europäischen Union ausgebracht werden – dieses Ziel hat die EU-Kommission im Rahmen der Farm-to-Fork-Strategie beschlossen. Auch das EU-Parlament hatte sich hinter diese Strategie zur nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln gestellt, die Teil des europäischen „Green Deals“ sein sollte.

Diese Woche sollte die EU-Kommission nun eigentlich einen Legislativvorschlag vorstellen, der die Halbierung des Pestizideinsatzes von einer bloßen politischen Absichtserklärung zu einer verbindlichen Rechtsvorschrift gemacht hätte. Die Neuauflage der so genannten Richtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden hätte das konkrete 50-Prozent-Reduktionsziel für den Pestizideinsatz enthalten und für die Europäische Union rechtsverbindlich festschreiben sollen, wie ein vor einigen Wochen geleakter Entwurf zeigt.

Damit wäre erstmals ein konkretes und verbindliches Ziel zur Reduktion des Pestizideinsatzes in diese Richtlinie aufgenommen worden, die zwar bereits seit über zehn Jahren existiert, bisher aber nicht dazu geführt hatte, dass tatsächlich weniger Pestizide eingesetzt werden.

Pestizidlobby nutzt Ukraine-Krieg, um Farm-to-Fork-Strategie zu attackieren

Doch nachdem die Agrarindustrie die Farm-to-Fork-Strategie in Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wochenlang kritisiert hatte, wurde nun die Vorstellung des Gesetzesvorschlags verschoben. Angesichts der angeblich drohenden Lebensmittelknappheit, so das Narrativ, müssten die europäischen Landwirt:innen ihre Produktivität steigern, um die Lebensmittelversorgung zu sichern. Ökologische Maßnahmen wie die Reduktion chemisch-synthetischer Pestizide würden die Ernährungssouveränität der EU gefährden. Diese Taktik, der Bevölkerung und den Politiker:innen Angst vor drohenden Versorgungsengpässen zu machen, ging nun offenbar auf.

Lebensmittelversorgung in der EU gefährdet?

Tatsächlich ist hierzulande keine Lebensmittelknappheit zu befürchten, da in Deutschland und der EU de facto eine Überproduktion an Lebensmitteln herrscht. 

In anderen Teilen der Welt könnte sich die ohnehin prekäre Versorgung mit Lebensmitteln jedoch tatsächlich noch weiter verschlechtern. Die EU sollte deswegen dringend Akuthilfe bei der globalen Ernährungssicherung leisten: Um Hungerkatastrophen in den Ländern des globalen Südens zu verhindern, muss die EU dringend ihre eigenen Getreidespeicher öffnen. Zudem ist es in Zeiten von drohender Nahrungsmittelknappheit nicht zu verantworten, Getreidepflanzen zu Agrarkroffstoffen zu verarbeiten, genauso wenig wie auf einem Großteil der Agrarflächen Futtermittel anzubauen, die der Produktion von billigem Fleisch dienen.

Ökologisierung der Landwirtschaft sichert Lebensmittelversorgung langfristig

Darüber hinaus ist es in der aktuellen Situation sogar kontraproduktiver denn je, eine weitere Intensivierung der Landwirtschaft voranzutreiben: Schließlich zeigt der Ukraine-Krieg die Krisenanfälligkeit der intensiven, industriellen Landwirtschaft, die auf dem Einsatz von Agrochemikalien beruht und damit extrem abhängig von Rohstoffimporten ist. Denn die Rohstoffe, die für die Produktion von mineralischem Dünger und chemisch-synthetischen Pestiziden benötigt werden, das heißt vor allem Erdöl, Erdgas, Ammoniumnitrat, Phospat und Kali, exportieren wir zu einem großen Teil aus der Schwarzmeerregion, aus der Importe derzeit massiv erschwert sind.

Außerdem gehen die Klimakrise und die Biodiversitätskrise trotz der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine unvermindert weiter und stellen die globale Lebensmittelversorgung ohnehin vor ungeahnte Herausforderungen. Mit einer Blockade der dringend notwendigen Ökologisierung der europäischen Landwirtschaft würden diese Krisen noch weiter befeuert.

Langfristig kann die Ernährungssicherheit daher nur durch eine schnelle und umfassende Ökologisierung der Landwirtschaft gesichert werden. Gesunde Böden und eine reiche Biodiversität machen unsere Agrarsysteme resilienter und damit langfristig weniger krisenanfällig.

Nachbesserungen am EU-Vorschlag notwendig

Jetzt gilt es, die Verschiebung des Kommissionsvorschlags zu nutzen, um eine Nachbesserung an entscheidenden Stellen zu erreichen. Im geleakten Entwurf war nämlich vorgesehen, die Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zwar für die EU insgesamt rechtsverbindlich zu machen, nicht aber für die einzelnen Mitgliedsstaaten. Dies würde jedoch vermutlich nicht funktionieren, da sich unter diesen Umständen manche Länder freiwillig höhere Ziele stecken müssten, um auszugleichen, dass viele Mitgliedsstaaten höchstwahrscheinlich versuchen würden, wesentlich geringere nationale Reduktionsziele umzusetzen.

Ackergifte nein danke!

Damit das Pestizidreduktionsziel aus der Farm-to-Fork-Strategie tatsächlich Realität werden kann, werden wir uns gemeinsam mit unserem europäischen Bündnis in den nächsten Wochen und Monaten dafür einsetzen, dass alle EU-Länder inklusive Deutschland dazu verpflichtet werden, sich auch daran zu halten.

Darüber hinaus werden wir den Politiker:innen auch die Forderungen unserer europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“ in Erinnerung rufen. Mit der EBI, die über 1,2 Millionen Menschen aus ganz Europa unterschrieben haben, fordern wir, den Pestizideinsatz bis 2030 sogar um 80 Prozent reduzieren und bis 2035 EU-weit komplett aus der Nutzung chemisch-synthetischer Pestizide auszusteigen. Denn langfristig gesehen ist der wichtigste Garant für unsere Lebensmittelsicherheit eine gesunde Umwelt mit intakten, widerstandsfähigen Ökosystemen und vielfältigen, giftfreien Agrarlandschaften. Die weitere Zerstörung von Lebensräumen und Artenvielfalt durch den Einsatz von giftigen Pestiziden ist keine Lösung!

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