Insektenschutzgesetz: Ein Tropfen auf den heißen Stein

Die Bestände von Insekten wie dem Hauhechelbläuling sind in Deutschland deutlich zurückgegangen
(10.2.2021) Nach langen Diskussionen hat sich die Bundesregierung auf ein Insektenschutzgesetz und eine neue Verordnung zum Pestizideinsatz geeinigt. Die Änderungen reichen jedoch nicht einmal im Ansatz dazu aus, das dramatische Insektensterben in Deutschland aufzuhalten.
Bereits 2018 einigten sich Union und SPD im Koalitionsvertrag auf das Vorhaben, bessere Maßnahmen zum Schutz unserer Insekten zu erlassen. Sie hätten eigentlich bereits im vergangenen Jahr beschlossen werden sollen. Doch das Landwirtschaftsministerium unter der Führung von Julia Klöckner mauerte konsequent gegen die Vorschläge aus dem Umweltministerium. Kurz vor Ende der Legislaturperiode kam nun doch noch eine Einigung zustande. Doch große Teile der Vorschläge aus dem Umweltministerium wurden eingestampft.
Der zentrale Streitpunkt war zuletzt der Umgang mit Pestiziden in Schutzgebieten.
In Naturschutzgebieten bleibt der Einsatz von Pestiziden erlaubt, ebenso in „Nationalparks, Naturdenkmälern, Naturmonumenten von nationaler Bedeutung und gesetzlich geschützten Biotopen“. Verboten wird hier nur der Einsatz von Giften, die als besonders gefährlich für Bienen oder Bestäuber bekannt sind, sowie einige Stoffe, für die bereits Anwendungsbeschränkungen bestehen. Weiterhin wird der Einsatz von Unkrautvernichtern in diesen Gebieten verboten.
Wäre es nach dem Willen von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) gegangen, so wären bestimmte Pestizide und Biozide in FFH-Gebieten komplett verboten worden. Flora-Fauna-Habitat-Gebiete (FFH-Gebiete) werden auf EU-Ebene festgelegt und dienen dem Schutz von Pflanzen (Flora), Tieren (Fauna) und Lebensräumen (Habitate). Aufgrund zahlreicher Ausnahmeregelungen, die das Landwirtschaftsministerium erwirken konnte, sind in FFH-Gebieten nicht nur weniger Verbote vorgesehen, sondern auch nur Grünland- und Waldgebiete betroffen, also die Bereiche, in denen ohnehin vergleichsweise wenig gespritzt wird. Bei der Vermehrung von Saat- und Pflanzgut, sowie im Gartenbau, Obst-, Hopfen- und Weinbau und sonstigen Sonderkulturen (z.B. Baumschulen), wo Pestizide in großer Menge zum Einsatz kommen, bleiben sämtliche Stoffe nach wie vor erlaubt. Nicht einmal in Gebieten, die explizit dafür geschaffen wurden, die Biodiversität zu schützen, werden Insekten auch nur vor besonders giftigen Pestiziden geschützt.
Auch der Ackerbau ist von den Regelungen in FFH-Gebieten vorerst komplett ausgenommen. Hier soll erst einmal abgewartet und ausgewertet werden, ob der Verzicht auf bestimmte Ackergifte auch freiwillig erreicht werden kann. Im Klartext heißt das: Auch innerhalb von ausgewiesenen Schutzgebieten dürfen auf Äckern und Feldern weiterhin für Bienen und andere Insekten giftige Stoffe gespritzt werden. In frühestens drei Jahren nach Verabschiedung der Gesetzesänderungen könnte es hier Verbote geben. Angesichts des Ausmaßes des Insektensterbens ist diese Taktik des Abwartens und Aussitzens fatal: So zeigte eine kürzlich veröffentlichte Studie, dass die Anzahl der gesichteten Wildbienenarten in den letzten 30 Jahren weltweit um ein Viertel zurückgegangen ist.1 Auf Deutschland bezogen zeigten Wissenschaftler:innen in der „Krefelder Studie“ schon im Jahr 2017 einen Rückgang der Fluginsekten um 76 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990.2
Dass Landwirtschaft auch im Einklang mit der Natur möglich ist, beweist unter anderem eine Studie der zoologischen Staatssammlung München: Die Forscher:innen fanden auf ökologisch bewirtschafteten Flächen 60 Prozent mehr Schmetterlingsarten als auf konventionell bewirtschafteten Äckern.3
Angesichts des dramatischen Insektensterbens wirken die weiteren Maßnahmen, auf die sich die Bundesregierung nun geeinigt hat, wie der Tropfen auf den heißen Stein. Zwar ist es angesichts der hohen Toxizität von vielen Pestiziden auf Wasserorganismen begrüßenswert, dass diese nur noch mit einem Abstand von zehn Metern Entfernung (fünf Meter, wenn die Böschung begrünt ist) zu Gewässern ausgebracht werden dürfen. Auch, dass Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern sowie artenreiches Grünland unter Biotopschutz gestellt werden, ist sinnvoll, ebenso wie dass die Lichtverschmutzung in Schutzgebieten reduziert werden soll. Dass der Einsatz von Glyphosat reduziert und bis 2024 komplett eingestellt werden soll, beschloss die Bundesregierung indes bereits im Jahr 2019 mit ihrer Zustimmung zum „Aktionsprogramm Insektenschutz“. Mit dem im Koalitionsvertrag beschlossenen Ziel eines „schnellstmöglichen Ausstiegs“ hat dies jedoch wenig zu tun.
Insgesamt bleiben die beschlossenen Änderungen im Naturschutzgesetz sowie in der Pflanzenschutz-Anwendungsordnung weit hinter dem zurück, was nötig wäre, um den Verlust der Artenvielfalt tatsächlich aufzuhalten. Selbst der konsequente Schutz von Bestäubern und anderen Insekten innerhalb von FFH-Gebieten würde hier zu kurz greifen.
In den vergangenen Tagen hat sich der Bauernverband einmal wieder vor den Karren der Agrarindustrie spannen lassen und eine Kampagne gegen die Beschränkungen des Pestizideinsatzes gefahren. Der kurzfristige Erfolg ist für die Bauern und Bäuerinnen jedoch ein Eigentor: Dieses Insektenschutzpaket ist nicht das Ende der Debatte um Pestizide in der Landwirtschaft, sondern heizt sie weiter an. Selbst in Julia Klöckners Kompromiss ist absehbar, dass in spätestens drei Jahren weitere Verschärfungen kommen. Planungssicherheit für ihre Betriebe und eine Annäherung an die große Mehrheit der Bevölkerung, die eine ökologischere Entwicklung der Landwirtschaft möchte, gibt es nur, wenn die Agrarpolitik endlich den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ausreichend berücksichtigt.
Was wir alle brauchen ist ein grundlegender Wandel in der Art der Landbewirtschaftung – weg von der chemiebasierten intensiven Landwirtschaft und hin zu agrarökologischen Anbaumethoden wie dem Ökolandbau, der statt auf Gifteinsatz auf vielfältige Fruchtfolgen, die Förderung von Nützlingen und gesundem Boden und geeignete Sortenwahl setzt.
Weil das Landwirtschaftsministerium nicht vom „Business as usual“ abrücken will, wird das Insektensterben in Deutschland in großen Teilen unvermindert fortschreiten – mit dramatischen Folgen für die Umwelt, die Landschaft und auch für uns Menschen. Schließlich hängen große Teile unserer Lebensmittelproduktion von der Bestäubung durch Insekten ab. Stirbt die Biene, so bleiben auch unsere Teller leer. Deshalb fordern wir gemeinsam mit über 140 Organisationen ein europaweites Komplettverbot für chemisch-synthetische Pestizide und die Neuverteilung der EU-Agrargelder zugunsten von Betrieben, die naturverträglich wirtschaften. Wollen auch Sie dem traurigen Kompromiss aus Berlin etwas entgegensetzen, unterschreiben Sie jetzt unsere europäische Bürgerinitiative!
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