Home  trenner  Meldungen  trenner  Pestizidrückstände in der Luft: Wir haben nachgemessen

Pestizidrückstände in der Luft: Wir haben nachgemessen!

Christoph Stache, Passivsammler

© Christoph Stache

(29. September 2020) Pestizide verbreiten sich kilometerweit durch die Luft und lassen sich praktisch überall in Deutschland nachweisen. Das belegt die bisher umfassendste Studie zur Pestizidbelastung der Luft, die das Umweltinstitut München gemeinsam mit dem Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft in Auftrag gegeben hat.

In Deutschland werden jährlich im Durchschnitt mehr als 30.000 Tonnen Pestizid-Wirkstoffe ausgebracht. Und obwohl es immer wieder Hinweise darauf gibt, dass sich umwelt- und gesundheitsschädliche Ackergifte auch über größere Entfernungen hinweg vom ursprünglichen Einsatzort verbreiten, gab es dazu bisher keine umfassenden staatlichen Untersuchungen. Deshalb beauftragten wir gemeinsam mit den Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft im Jahr 2019 das unabhängige Büro für Integrierte Umweltbeobachtung TIEM damit, an 116 Standorten in ganz Deutschland die Luft auf Pestizide zu untersuchen. Dafür  wurden  Passivsammler, Luftfiltermatten aus Passivhäusern, Baumrinde, und Bienenbrot aus Bienenstöcken verwendet. Außerdem flossen in die Studie Ergebnisse eines 2014 bis 2018 von TIEM durchgeführten Rindenmonitorings ein, bei dem ebenfalls Baumrinde auf Pestizidrückstände geprüft wurde. Damit ergab sich eine Gesamtzahl von 163 Standorten.

Besorgniserregende Ergebnisse

Die Ergebnisse sind besorgniserregend: In beinahe allen Proben wurden Rückstände von gleich mehreren Pestiziden gefunden – egal, ob sich ein Standort auf dem Land, im Nationalpark oder in der Stadt befand. Die wichtigsten Ergebnisse unserer Studie sind folgende:

Insgesamt fanden sich in den verschiedenen Sammelmedien 124 verschiedene Pestizidwirkstoffe sowie 14 Abbauprodukte von Pestiziden. Dabei sind einige Pestizide wie Glyphosat, Pendimethalin, Prosulfocarb, Terbuthylazin und Metolachlor besonders weit verbreitet. Sie fanden sich in über 80 Prozent der Passivsammler und waren auch in der Baumrinde und den Luftfiltermatten häufig nachweisbar. Diese Stoffe sind als problematisch bekannt: Pendimethalin und Prosulfocarb verursachen besonders oft Schäden auf Bio-Betrieben, weil sie über die Luft von konventionellen Äckern auf Bio-Äcker transportiert werden, wodurch die dort wachsenden Kulturen mit Rückständen dieser Stoffe verunreinigt werden. Die Biobauern und – bäuerinnen können ihre Ernte dann nicht mehr als Bio-Ware verkaufen.

Metolachlor und Terbutylazin tauchen immer wieder im Grundwasser auf. Glyphosat, das mit Abstand am häufigsten eingesetzte Herbizid, das 2015 von der Weltgesundheitsorganisation als wahrscheinlich krebserregend eingestuft wurde, verbreitet sich an Staubkörnern haftend durch die Luft. Die für die Bewertung von Pestiziden zuständige Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA behauptet von allen diesen fünf Stoffen, dass ein Ferntransport durch die Luft nicht vorkommt oder vernachlässigbar ist. Unsere Studie zeigt nun eindeutig, dass das nicht stimmt.

An rund drei Viertel aller untersuchten Standorte wurden jeweils mindestens fünf und bis zu 34 Pestizidwirkstoffe sowie -abbauprodukte gefunden. Bezüglich der Pestizidbelastung gab es große Unterschiede zwischen den vier verschiedenen Sammelmethoden. Lediglich in Bienenbrotproben wurden an einigen Standorten überhaupt keine Pestizidwirkstoffe gefunden. In den Passivsammlern wurden nirgends weniger als fünf der Stoffe nachgewiesen. Die Wechselwirkungen dieser Stoffe – der sogenannte Cocktaileffekt – auf den Menschen sind noch nahezu unerforscht. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass selbst dort, wo keine Pestizide ausgebracht werden, mit einem Pestizidcocktail in der Luft gerechnet werden muss.

Auch an Standorten, die weit entfernt von potentiellen Einsatzorten waren, konnten mehrere Pestizidwirkstoffe nachgewiesen werden. Im Nationalpark Bayerischer Wald waren es fünf Ackergifte, auf dem Brocken im Nationalpark Harz zwölf. Auch in Städten wurden Pestizide nachgewiesen: In Berlin waren es 18 verschiedene Pestizidwirkstoffe bzw. Abbauprodukte, in München drei. Selbst hier lassen sich nahezu alle der nachgewiesenen Stoffe klar der landwirtschaftlichen Nutzung zuordnen. Nur zwei der 18 in Berlin gefundenen Stoffe, Glyphosat und Tebuconazol, sind auch für den Einsatz in Hausgärten zugelassen und nur Tebuconazol hat zusätzlich eine Zulassung als Holzschutzmittel.

Selbst die Lage in einem Schutzgebiet (z. B. Naturschutzgebiet, Vogelschutzgebiet, Nationalpark, Biosphärenreservat) zeigt in der Statistik keinen starken Schutz vor dem Eintrag von Pestiziden und ähnlichen Stoffen durch die Luft. Entscheidend ist jedoch der Naturraum und die Intensität der Landwirtschaft in der Umgebung sowie die Erosionsgefahr am jeweiligen Standort. Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass sich nicht nur Glyphosat sondern auch andere Stoffe an Staubpartikel angelagert verbreiten. Dieser Aspekt findet in den Überlegungen zum Ferntransport der Stoffe während des Zulassungsverfahrens bisher überhaupt keine Beachtung.

30 Prozent der nachgewiesenen Pestizidwirkstoffe waren in Deutschland zum jeweiligen Messzeitpunkt nicht mehr oder noch nie zugelassen. Darunter sind einerseits Altlasten wie z.B. DDT und Lindan, zwei Insektengifte, die in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren verboten sind und in der DDR noch bis Ende der 1980er im Einsatz waren. Sie bauen sich so langsam ab, dass sie auch jetzt noch in der Luft nachweisbar sind. Andererseits finden wir auch Pestizide in der Luft, die in Deutschland nicht mehr zugelassen sind, in anderen Mitgliedstaaten der EU jedoch schon. Dazu gehören z.B. die Insektengifte Phosmet und Chlorpyrifos. Letzteres wurde erst Anfang 2020 europaweit verboten, durfte aber bereits seit 2012 in Deutschland nicht mehr eingesetzt werden.

Mehr darüber, was die Ergebnisse bedeuten, welche Orte besonders belastet sind und welche Menschen hinter der Studie stehen, erfahren Sie in unserem Film:
Ackergifte? Nein Danke!

Die Untersuchung zeigt, dass sich Pestizide trotz aller Zulassungsverfahren und trotz aller Kontrollen und Vorschriften nahezu überallhin verbreiten. Wir fordern deshalb:

  • Die Wirkstoffe, die sich am stärksten verbreiten, müssen sofort verboten werden. Das betrifft Glyphosat, Prosulfocarb, Pendimethalin, Terbuthylazin und S-Metolachlor.
  • Die Pestizidhersteller müssen Bio-Betriebe, die durch Pestizideinträge geschädigt werden, entschädigen. Bisher müssen Bio-LandwirtInnen oder Verarbeitungsbetriebe die Kosten für die Abgrenzung und Schäden durch Verunreinigungen alleine tragen. Sie schlagen auf den Preis der Bio-Produkte für die KonsumentInnen. Ein Entschädigungsfonds, in den die Chemieindustrie einzahlt, wäre gerechter und würde in die richtige Richtung steuern: Zu mehr Bio.
  • Das Zulassungsverfahren für Pestizide muss reformiert werden. Die Verbreitung von Wirkstoffen durch die Luft muss vor der Zulassung in realistischen Experimenten gemessen und danach kontinuierlich beobachtet werden.
BürgerInnen, WissenschaftlerInnen und Citizens Science

Unsere umfassende Studie wäre ohne den Beitrag von über hundert LandwirtInnen, ImkerInnen, Bio-Unternehmen und interessierten BürgerInnen nicht möglich gewesen. Sie haben die Standorte für Passivsammler zur Verfügung gestellt, Proben vonLuftfiltern aus Passivhäusern ans Labor geschickt und Bienenbrot aus ihren Waben geschnitten. Die meisten dieser Citizen Scientists (Englisch für „BürgerInnen als WissenschaftlerInnen“) haben sich zusätzlich sogar finanziell an der Studie beteiligt. Wir möchten uns aber nicht nur für die Arbeitszeit und die finanzielle Unterstützung bedanken, sondern auch für die Geduld aller Beteiligten. Seit dem Beginn der Datenerfassung sind eineinhalb Jahre vergangen.

Ohne den Ausbruch der Covid19-Pandemie hätten wir die Ergebnisse schon dieses Frühjahr veröffentlicht. Doch die dadurch gewonnene Zeit haben wir nicht ungenutzt verstreichen lassen: Die Studie wurde durch einen ausführlichen statistischen Teil ergänzt. In diesen flossen nicht nur die 138 Pestizidwirkstoffe und -abbauprodukte ein, sondern auch 15 weitere organische Schadstoffe, die bei der Untersuchung der Proben nach den Standards des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) (ASU L.00.00-115) mit erfasst wurden. Die statistische Auswertung der Daten liefert einen Einblick, welche Faktoren die Belastung der Luft mit all diesen Stoffen beeinflussen.

Eine Landwirtschaft ohne Pestizide ist möglich!

Das BVL hat im Sommer 2020 die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie für ein Pestizidmonitoring in der Luft veröffentlicht. Wir begrüßen, dass das BVL endlich ein seit langem von uns gefordertes deutschlandweites staatliches Monitoring in Angriff nimmt. Wir werden dem Bundesamt aber auch genau auf die Finger schauen, denn die in der Machbarkeitsstudie genannte Zahl von mindestens drei Messstandorten deutschlandweit ist viel zu klein und würde keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern. Die hohe Zahl von zugelassenen wie verbotenen Stoffen, die in unserer Untersuchung gefunden wurden, zeigt, dass eine Beschränkung auf wenige bekannte Problemstoffe wie Prosulfocarb und Pendimethalin Augenwischerei wäre.

Die Bundesregierung kann sich nach den Ergebnissen unserer Studie nicht mehr auf eine mangelnde Datenbasis zurückziehen, sondern muss handeln. Mit Hilfe einer Mischung aus Verboten, der Forschung an Alternativen und ökonomischen Anreizen ist ein vollständiger Ausstieg aus dem Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide in der Landwirtschaft möglich. Mit der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten!“ fordern wir einen europaweiten Ausstieg innerhalb von 15 Jahren. Unterschreiben Sie jetzt, damit die Europäische Bürgerinitiative den laufenden Prozess um die Reform der europäischen Agrarpolitik beeinflussen kann – nicht für Grundbesitz, sondern für ökologische Leistungen sollten die Bauern und Bäuerinnen gefördert werden.

Zurück nach oben