Home  trenner  Meldungen  trenner  EU-Kommission untergräbt Schutz vor Schadstoffen

EU-Kommission untergräbt Schutz vor Schadstoffen

Traktor bringt Pestizide aus

Pestizide werden wohl auch weiter hormonell wirksame Chemikalien enthalten. Bild: Pieter van Marion, Flickr

Zahlreiche Chemikalien sollten auf Grundlage eines Beschlusses des Europäischen Parlaments von 2009 verboten werden, weil sie in das menschliche Hormonsystem eingreifen. Davon wären allein 31 Pestizidwirkstoffe, aber auch Inhaltsstoffe von Plastikprodukten und Kosmetika betroffen gewesen. Doch wie jetzt veröffentlichte Dokumente zeigen, haben Teile der EU-Kommission die Umsetzung erfolgreich untergraben.

Vor sechs Jahren hatte das Europäische Parlament die EU-Kommission beauftragt, Kriterien für die Identifizierung hormonell wirksamer Chemikalien zu erarbeiten. Anhand dieser Kriterien sollten hormonell wirksame Stoffe erkannt werden, um ihren Einsatz - zum Beispiel in Pestiziden oder Kosmetika - verbieten zu können. Bis 2013 sollten diese Kriterien vorliegen.

Doch so weit sollte es nicht kommen, denn die zuständige Generaldirektion Umwelt (DG Environment) geriet sowohl durch externes Lobbying als auch durch mächtige Gegenspieler innerhalb der Kommission unter massiven Druck.

Die Lobby-Maschinerie läuft an

Da war zunächst die Industrie, die befürchtete, viele ihrer gewinnbringenden Chemikalien künftig nicht mehr vermarkten zu dürfen. Zahlreiche Industrieverbände wie der Europäische Rat der Chemieindustrie (CEFIC) und der European Crop Protection Association (ECPA), aber auch Einzelunternehmen wie BASF und Bayer versuchten deshalb immer wieder, strenge Kriterien zu verhindern. Ihr Argument: Die wirtschaftlichen Folgen seien zu groß, wenn viele Stoffe unter die geplanten Kriterien fallen würden.

Unterstützt wurden sie dabei ausgerechnet durch Behörden, die für den Schutz der Gesundheit zuständig sind: So warnte etwa das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einem Positionspapier vor den wirtschaftlichen Folgen einer strengen Kontrolle hormoneller Stoffe.

Kompetenzgerangel innerhalb der EU-Kommission

Die Argumente der Industrie stießen auch bei der Generaldirektion Gesundheit der Kommission (DG SANCO) auf offene Ohren. Obwohl DG Environment für die Erstellung der Kriterien zuständig war, beauftragte DG SANCO die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA mit einer wissenschaftlichen Stellungnahme, welche nun ebenfalls die Argumente der Industrie aufgriff.

Auch die US-Handelskammer und die Vertretung der USA intervenierten bei der EU-Kommission: Eine strengere Reglementierung hormoneller Stoffe in der EU würde den Handel mit den USA beeinträchtigen und Laufe dem Ziel der TTIP-Verhandlungen zuwider.

Und auch die europäische Chemie-Industrie ließ nicht locker und wandte sich wiederholt an hohe Stellen in der Kommission bei denen sie zunächst eine Abschätzung der Folgen forderte, bevor die Kriterien festgelegt würden. Damit wären konkrete Kriterien erst einmal vom Tisch und somit auch kurzfristige Stoffverbote.

Unterstützung für die Industrie von höchster Stelle

Die Industrie sollte ihren Willen bekommen: Die Generalsekretärin der Kommission, Catherine Day, wies DG Environment im Sommer 2013 an, die bisherigen Pläne für die Kriterien auf Eis zu legen und die von der Industrie geforderte Folgenabschätzung durchzuführen. Doch diese wird viel Zeit in Anspruch nehmen: frühestens 2016 soll sie vorliegen.

Und es kommt noch schlimmer: Inzwischen hat der neue Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker DG Environment die Federführung für den Prozess entzogen und an die industriefreundliche DG SANCO übergeben.

TTIP wirft seine Schatten voraus

Der Vorgang ist ein Lehrstück erfolgreichen Industrielobbyings. Und er zeigt, dass die Industrie auf mächtige Verbündete innerhalb der EU-Kommission setzen kann. Es wäre daher dringend erforderlich, die Macht des gewählten EU-Parlaments gegenüber der Kommission zu stärken.

Zu befürchten ist allerdings, dass es zukünftig noch schwieriger wird, Fortschritte beim Schutz vor gefährlichen Chemikalien zu erreichen. Denn das transatlantische Abkommen TTIP sieht vor, Handelsbarrieren auszuräumen, indem gesetzliche Vorschriften zwischen Europa und den USA angeglichen werden. Und das in Europa etablierte Vorsorgeprinzip wird von offizieller Seite in den USA kategorisch abgelehnt, wie die Amerikaner erst kürzlich in einer Stellungnahme an die EU-Kommission klargestellt haben.

Immerhin hat die Verzögerungstaktik der Kommission jetzt ein Nachspiel. Schweden hat die EU-Kommission verklagt, weil sie die Beschlüsse von 2009 verschleppt.

Zurück nach oben