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Überraschende Wendung im Südtiroler Pestizidprozess

Karl Bär, der Angeklagte im Südtiroler Pestizidprozess mit Rechtsanwalt Nicola Canestrini

Karl Bär, der Angeklagte im Südtiroler Pestizidprozess mit Rechtsanwalt Nicola Canestrini (Foto: Oliver Oppitz)

(02.02.2022) Der fünfte Verhandlungstag im Südtiroler Pestizidprozess brachte vergangenen Freitag eine überraschende Wendung: Auch der letzte Kläger zog unerwartet seine Anzeige gegen das Umweltinstitut zurück. Zugleich machte er brisante Aussagen, die den Südtiroler Landesrat Arnold Schuler in Erklärungsnot bringen.

Seit September 2020 läuft nun bereits der Prozess in Bozen gegen unseren - derzeit für sein Bundestagsmandat freigestellten - Agrarexperten Karl Bär wegen einer Kampagne des Umweltinstituts im Jahr 2017. Damals hatten wir mit einem satirischen Plakat im Stil der Südtiroler Tourismuswerbung auf den hohen Pestizideinsatz in den Apfelplantagen der beliebten Urlaubsregion aufmerksam gemacht.

Europaweite Solidarität

Landesrat Arnold Schuler und mehr als 1300 Landwirt:innen reichten daraufhin Strafanzeige ein. Der Grund: Mit dieser Aktion hätte das Umweltinstitut sie persönlich diffamiert. Nachdem der Prozessauftakt im Herbst 2000 für viel Protest und eine Welle der Solidarität sorgte, hatten in den letzten Monaten bereits fast alle Kläger ihre Anzeige zurückgezogen. Doch ein Kläger hielt seine Anzeige bis zuletzt aufrecht.

Bereits im Oktober sollte er als Zeuge vor Gericht aussagen, hatte die letzte Anhörung aber platzen lassen, weil er sich nach eigener Aussage um die Apfelernte kümmern musste. Der Richter ordnete daraufhin die Zwangsvorführung durch die Polizei zum neuen Verhandlungstermin am 28. Januar an.

Vorwurf der üblen Nachrede vom Tisch

Darüber sichtlich empört nahm der Kläger am Freitag auf der Zeugenbank Platz. Trotz der anfänglichen Aufregung wurde aber schnell klar, dass auch er bei allen inhaltlichen Differenzen die Auseinandersetzung um den Spritzmitteleinsatz im Obstbau lieber außerhalb des Gerichtssaals führen würde. Nach einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung zog auch er seine Anzeige zurück. Damit ist der Vorwurf der üblen Nachrede völlig unerwartet vom Tisch!

Fortgesetzt wird der Prozess im Mai dennoch, da die Frage der angeblichen Markenrechtsverletzung wegen der satirischen Verfremdung des Südtirol-Logos zu „Pesitzidtirol“ im Rahmen unserer Kampagne von 2017, noch nicht geklärt ist. Wir rechnen nun aber mit einer schnellen Entscheidung, voraussichtlich sogar schon bei der nächsten Anhörung. Für Karl Bär und uns alle am Umweltinstitut ist somit nun endlich ein Ende des Prozesses in Sicht - eine hoch erfreuliche Wendung, hatten wir uns doch am Morgen noch darauf gefasst gemacht, dass der Pestizidprozess nun mit der ersten Zeugenvernehmung erst so richtig losgeht.

Wurde Druck auf Landwirt:innen ausgeübt?

Doch das war nicht die einige Überraschung, die der Prozesstag mit sich brachte. Denn der letzte Kläger zog nicht nur seine Anzeige zurück, sondern machte zudem noch eine brisante Aussage vor Gericht: Er habe sich von Landesrat Arnold Schuler genötigt gefühlt, sich der Klage anzuschließen. Als dieser gemerkt habe, dass der Prozess mit einer Niederlage vor Gericht enden könnte, habe Schuler wiederum Druck auf die Landwirt:innen ausgeübt, die Anzeigen zurückzuziehen. Ganze acht Mal habe Schuler ihn deshalb angerufen. Unser Rechtsanwalt Nicola Canestrini bewertet dies so: „Der Vorwurf der Nötigung zu einer Verleumdungsklage wiegt sehr schwer: Wenn die Südtiroler Regierung ihre Bürgerinnen und Bürger wirklich als juristische Manövriermasse genutzt haben sollte, um unliebsame Kritik an ihrer Agrarpolitik zu unterbinden, würde dies ein hochproblematisches Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit offenbaren.“

Bündnis gegen SLAPP-Klagen

Der Südtiroler Pestizidprozess offenbart sich somit einmal mehr als typisches Beispiel einer politisch motivierten Einschüchterungsklage. Diese auch SLAPP (Strategic Litigation Against Public Participation - Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung) genannten Prozesse werden auch in Europa immer häufiger von Unternehmen, Politiker:innen oder mächtigen Einzelpersonen genutzt, um unliebsame Kritiker:innen einzuschüchtern. Nicht zuletzt aufgrund unserer eigenen Erfahrungen im Pestizidprozess haben wir mit anderen Organisationen aus ganz Europa das CASE-Bündnis gegen SLAPP-Klagen gegründet und mehr als 200.000 Unterschriften gegen diese Form des Justizmissbrauchs gesammelt. Und unser Protest trägt erste Früchte: Bei der Unterschriftenübergabe am Dienstag in Brüssel kündigte EU-Kommissarin und Vizepräsidentin Jourová eine europäische Gesetzgebung gegen SLAPPs an.

Dialog geplant

Das Umweltinstitut wird indes die Diskussion um Pestizide im Südtiroler Obstbau außerhalb des Gerichts fortführen. Derzeit werten wir die Betriebshefte fast aller Obstbäuerinnen und -bauern aus, die ursprünglich Anzeige gegen uns erstattet hatten. Diese wurden dem Umweltinstitut im Prozess als Beweismittel zur Verfügung gestellt. Die Hefte enthalten Angaben darüber, welche und wie viele Pestizide im Jahr 2017 in den Obstplantagen ausgebracht wurden. Die Ergebnisse der Auswertung dieser Daten planen wir auf einer Veranstaltung mit Vertreter:innen der Obstwirtschaft in Südtirol zu präsentieren und zu diskutieren.

Die aktuellen Entwicklungen im Pesitzidprozess in der Medienberichterstattung

Zankäpfel aus Südtirol (BR Abendschau)

Saurer Apfel für Südtirol (Süddeutsche Zeitung)

Ende im Pestizidprozess (ORF)

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