Home  trenner  Meldungen  trenner  EU-Kommission sagt Einschüchterungsklagen den Kampf an

EU-Kommission sagt Einschüchterungsklagen den Kampf an

Vera Jourová, Vizepräsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz der EU-Kommission, hat auf unsere Forderung nach einem Anti-SLAPP-Gesetz für Europa reagiert (Foto: Thomas Cytrynowicz).

Vera Jourová, Vizepräsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz der EU-Kommission, hat auf unsere Forderung nach einem Anti-SLAPP-Gesetz für Europa reagiert (Foto: Thomas Cytrynowicz).

(27.04.2022) Die EU-Kommission hat ihre lang erwartete Anti-SLAPP-Initiative für Europa vorgestellt. Das Kernstück des Maßnahmenpakets ist eine EU-Richtlinie gegen SLAPPs (strategic lawsuits against public participation) – eine Art europäisches Gesetz gegen Justizmissbrauch durch Einschüchterungsklagen. Die Unterschriften von über 200.000 Menschen, die ein solches Anti-SLAPP-Gesetz fordern, hatten wir im Februar der Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jourová übergeben.

Unser Kampf gegen Einschüchterungsklagen

Ursprünglich für Ende des Jahres 2021 erwartet und mehrmals verschoben, hat die EU-Kommission heute ihr umfangreiches Maßnahmenpaket gegen SLAPPs (strategic lawsuits against public participation) in Europa vorgestellt. SLAPPs, also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung sind missbräuchliche Klagen, die darauf abzielen, kritische Stimmen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Im Umweltinstitut sind wir selbst von einem SLAPP betroffen und mussten die Wirkung einer solchen juristischen Ohrfeige am eigenen Leib erleben. Deshalb schlossen wir uns der Coalition against SLAPPs in Europe (CASE) an: In einem europaweiten Bündnis kämpfen wir dagegen, dass Menschen, die ökologische oder soziale Missstände anprangern, auch in Europa immer häufiger vor Gericht gezerrt werden.

Einzig und allein strenge gesetzliche Maßnahmen können dem Missbrauch unserer Rechtssysteme durch SLAPP-Klagen wirklich einen Riegel vorschieben. Daher starteten wir gemeinsam mit der Organisation Rettet den Regenwald, die wie wir die SLAPP-Ohrfeige verpasst bekam, eine Petition für ein europäisches Anti-SLAPP-Gesetz - eine sogenannte EU-Richtlinie. Über 200.000 Unterschriften konnten wir gemeinsam mit dem CASE-Bündnis für die Petition sammeln und Anfang des Jahres an die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Vera Jourová, übergeben.

Ein Anti-SLAPP-Gesetz für Europa

Und unser Druck hat Wirkung gezeigt: Das Kernstück des von der EU-Kommission vorgelegten Maßnahmenpakets zur Bekämpfung von SLAPPs ist genau eine solche EU-Richtlinie, wie wir sie auch gemeinsam mit CASE in unserer Modell-Richtlinie vorgeschlagen haben. Dies ist ein wichtiger Meilenstein in Kampf gegen SLAPPs, denn bisher gibt es in keinem einzigen europäischen Mitgliedstaat Gesetze dagegen - anders als in anderen Ländern wie beispielsweise Australien oder Südafrika.

Neben dem Druck aus der Zivilgesellschaft hat wohl auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine den EU-Politiker:innen die Augen dafür geöffnet, wie wichtig der Kampf gegen SLAPPs in Europa ist. Denn unter den notorischen "SLAPPern" befinden sich auffallend häufig russische, kreml-nahe Oligarchen, die kritische Berichtserstattung durch SLAPPs unterbinden wollen. So wurde beispielsweise die britische Journalistin Catherine Belton vom russischen Milliardär Roman Abramovich wegen Verleumdung verklagt, weil sie in ihrem Buch "Putin's People" dessen Verbindungen zum russischen Präsidenten offengelegt hatte.

"Daphnes Gesetz"

Auf einer Pressekonferenz des CASE-Bündnisses erklärte Vera Jourová, dass sie die EU-Richtlinie eigentlich gerne "Daphnes Gesetz" genannt hätte - nach einem der bekanntesten SLAPP-Opfer Europas der letzten Jahre: Daphne Caruana Galizia. Gegen die maltesische Journalistin Daphne, die 2017 durch eine Autobombe ermordet wurde, waren vor ihrem Tod ganze 47 SLAPP-Klagen anhängig, die ihr und ihrer Familie das Leben schwer machten. Daphnes Sohn Matthew Caruana Galizia berichtete auf der Pressekonferenz von einer seiner frühesten Kindheitserinnerungen: So sollten er und seine Geschwister nichts von Polizist:innen annehmen, die an der Haustür klingelten, da es sich hierbei üblicherweise um die nächste Gerichtsvorhandlung handelte. Diese Anekdote illustriert, wie sehr das Leben der Familie Caruana Galizia über Jahrzehnte von den Einschüchterunsversuchen durch SLAPPs überschattet wurde.

Das steht im Gesetzesvorschlag:

Positiv ist, dass die EU-Kommission ihrer geplanten Richtlinie eine sehr breite Definition dessen, was als SLAPP zu verstehen ist, zugrunde legt. Als SLAPP definiert werden Klagen, die darauf abzielen, eine Handlung öffentlicher Beteiligung zu verhindern, zu beschränken oder zu bestrafen, und die entweder offensichtlich haltlos oder offensichtlich missbräuchlich sind oder die beide Kriterien erfüllen. Indem SLAPPs nicht dadurch definiert werden, welche Personengruppe(n) sie betreffen (z.B. Journalist:innen), sondern welche Art von Handlung bzw. Äußerung sie bedrohen, können sich also auch Nicht-Regierungsorganisationen wie wir auf die EU-Richtlinie berufen.

Außerdem hat die Kommission in ihren Gesetzesvorschlag genau die Maßnahmen mit aufgenommen hat, die auch CASE für zentral hält, wie z.B.: 

  • Frühzeitige Abweisung: Geslappte Personen sollen die Möglichkeit bekommen, beim Gericht einen Antrag auf frühzeitige Abweisung der Klage zu stellen. Der/die Richter:in muss dann den Verdacht überprüfen, dass es sich um eine missbräuchliche Klage handeln könnte. Sollte sich der Verdacht bestätigen, kann das Gericht die Klage abweisen, bevor die eigentliche - für die Angeklagten teure, zeitaufwendige und kräftezehrende - Gerichtsverhandlung überhaupt beginnt.

  • Umkehr der Beweislast: In diesem Fall sollen nicht die Personen, die vor Gericht gezerrt werden, in der Pflicht zu sein, zu beweisen, dass es sich um einen SLAPP handelt. Vielmehr müssen die Kläger:innen beweisen, dass es sich bei ihrem Vorgehen nicht um einen SLAPP handelt.

  • Kostenausgleich: Wird eine Klage vom Gericht als SLAPP identifiziert und frühzeitig abgewiesen, sollen die Kläger:innen verpflichtet werden können, die zur Unrecht Angeklagten für die entstandenen Kosten zu entschädigen.

  • Sanktionen: Diejenigen, die SLAPPs anzetteln, sollen durch Strafzahlungen sanktioniert werden können. Dadurch sollen Unternehmen, Regierungsvertreter:innen und mächtige Einzelpersonen davon abgehalten werden, Kritiker:innen vor Gericht zu zerren. Bisher gibt es für diejenigen, die auf diese Art unsere Rechtssysteme missbrauchen, keinerlei negative Konsequezen zu befürchten.

Zu kritisieren ist, dass die EU-Richtlinie nur auf SLAPP-Fälle anwendbar sein soll, die einen grenzüberschreitenden Charakter haben. Das heißt konkret: Wenn eine der Parteien, also Kläger:innen oder Angeklagte nicht in dem Land ansässig sind, in dem die Klage vorgebracht wird, soll die EU-Richtlinie greifen (ein Großteil der SLAPP-Fälle in der EU ist in diesem Sinne jedoch nicht grenzüberschreitend, wie eine umfangreiche Untersuchung von CASE gezeigt hat). Auch Fälle, die eine Handlung öffentlicher Beteiligung betreffen, die für mehr als ein EU-Land Relevanz haben, werden als grenzüberschreitend verstanden. Ob ein Fall wie derjenige der französischen Anti-Pestizid-Aktivistin Valérie Murat (in dem sowohl Kläger:innen als auch Angeklagte in Frankreich ansässig sind) von der EU-Richtlinie abgedeckt wären, ist also eine Frage der Interpretation. Es käme in diesem Fall darauf an, ob die Kritik von Murat an den Pestizid-Rückständen in den berühmten Bordeaux-Weinen auch über Frankreich hinaus als relevant erachtet wird. 

Außerdem soll die EU-Richtlinie nur in zivilrechtlichen Verfahren greifen. Sie wäre also leider nicht auf den SLAPP gegen unseren Mitarbeiter Karl Bär anwendbar, der sich vor einem Strafgericht verteidigen muss. Allerdings wird der Vorschlag zum EU-Gesetz gegen SLAPPs von einer Empfehlung der EU-Kommission an die europäischen Mitgliedsstaaten begleitet, nationale Anti-SLAPP-Gesetze zu erlassen. Diese nationalen Gesetze sollen nach dem Willen der EU-Kommission alle SLAPP-Betroffenen schützen, unabhängig davon, ob sie in zivil- oder strafrechtliche Klagen verwickelt werden und auch unabhängig davon, ob sie in einem grenzüberschreitenden Fall verklagt werden oder nicht.

Bloß nicht lockerlassen

Daher werden wir uns gemeinsam mit CASE weiterhin dafür einsetzen, dass auch auf nationaler Ebene solide gesetzliche Schutzmechanismen für SLAPP-Betroffene umgesetzt werden. Im Umweltinstitut werden wir vor allem dafür kämpfen, dass Deutschland ein eigenes nationales Anti-SLAPP-Gesetz bekommt. Doch auch im Hinblick auf die EU-Richtlinie bleiben wir am Ball: Denn bevor diese in Kraft treten kann, müssen auch die Regierungen aller EU-Mitgliedsstaaten zustimmen. Während die deutsche Ampelregierung in ihrem Koalitionsvertrag bereits versprochen hat, EU-weit Maßnahmen gegen SLAPPs zu unterstützen, stehen aber unter anderem die tschechische, die ungarische und die polnische Regierung dem Vorschlag der EU-Kommission skeptisch gegenüber. Wir werden also nicht lockerlassen und weiterhin Druck machen, damit der gute Vorschlag der EU-Kommission in den Verhandlungen mit den Regierungen der EU-Länder nicht verwässert wird!

Zurück nach oben