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Atomausstieg in Gefahr

Im Vordergrund sind vertrocknete Sonnenblumen zu sehen, dahinter der Kühlturm eines Atomkraftwerks

Atomkraftwerke sind wieder brandaktuell | © IMAGO / argum

(19.7.2022) In diesen Tagen kocht sie wieder hoch, die Debatte um die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke. Im Nachgang der Fukushima-Katastrophe 2011 hatten die Atomfans aus CDU/CSU und FDP den Atomausstieg noch mitgetragen, doch jetzt fordern sie einen mindestens zeitweisen „Ausstieg vom Ausstieg“.

Auffallend stark für eine Laufzeitverlängerung der deutschen AKWs sind dabei einige bekannten Bremser der Energiewende, unter anderem der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Der Grund: Durch die anhaltende Blockade des Ausbaus der Wind-Energie ist Bayern besonders stark auf Energie-Importe und Atomstrom angewiesen.

Atomlobby im Aufwind?

Und sogar aus den Reihen der Grünen wird Kompromissbereitschaft beim Atomausstieg signalisiert: Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke wollen einen Weiterbetrieb über den Winter nicht mehr ausschließen und die Münchner Grünen fordern eine Prüfung des „Streckbetriebs“ (also die langsamere Verbrennung der bereits vorhandenen Brennstäbe) für den Reaktor Isar 2. Zwar wird dabei betont, dass es nur um eine Prüfung gehe, doch die Atom-Lobby jubelt, dass gerade die Grünen sich in dieser Frage bewegen. Denn die Zugeständnisse zeigen, dass Bewegung in eine Frage kommt, die lange als entschieden galt: Zweimal haben sich deutsche Bundesregierungen schon zum Atomausstieg durchgerungen und Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) hatte in der aktuellen Energie-Krise stets betont, dass ein Weiterbetrieb der AKWs nicht in Frage kommt. Jetzt wird über einen sogenannten „Streckbetrieb“ diskutiert, die Ampel-Partei FDP fordert einen Weiterbetrieb bis 2024 und manch Atom-Fan wird darauf spekulieren, dass die Debatte im Verlauf der Krise noch weiter geöffnet wird, sodass ein dauerhafter Weiterbetrieb möglich wird.

Atomkraft kann Erdgas nicht ersetzen

Atom-Lobby und Energiewende-Bremser:innen erwecken aktuell bewusst den Eindruck, das Atomkraft einen Großteil der Energieprobleme entschärfen könnte. Doch ist der Beitrag, den die verbleibenden drei AKWs in diesem Winter leisten können, vergleichsweise klein. Das hat vor allem zwei Gründe:

  • Erdgas wird in Deutschland vor allem für das Heizen und die Industrie (Rohstoff und Prozesswärme) genutzt. Atomstrom kann diese Nutzungen nicht ersetzen.
  • Ein Teil des Erdgases wird zwar zur Stromerzeugung genutzt, doch auch dieses Gas kann höchstens teilweise durch Atomstrom ersetzt werden, weil Atomkraftwerke sehr träge sind und im Gegensatz zu Gaskraftwerken kurzfristige Schwankungen im Strombedarf nicht ausgleichen können.

Übrigens: Aktuell stammen nur sechs Prozent des in Deutschland produzierten Stroms noch aus Atomkraft.

Sicherheitsrisiken durch Alterung gestiegen

Dem sehr kleinen Beitrag, den die Atomenergie zur Einsparung von russischem Gas leisten kann, stehen enorme Sicherheitsrisiken gegenüber. Keine Sicherheitsvorschrift kann den Super-GAU zuverlässig verhindern, das hat die Geschichte gezeigt. Dies gilt erst recht in den über 30 Jahre alten Reaktoren in Deutschland.

Besonders brisant: Die im Abstand von zehn Jahren vorgeschriebene Generalüberholung wurde in den verbliebenen AKWs das letzte Mal vor dreizehn Jahren durchgeführt und ist damit seit drei Jahren überfällig. Der Grund: 2019 ging man von einer baldigen Stilllegung der Kraftwerke aus.

Ein Beispiel für die mit der Alterung der Reaktoren einhergehenden Risiken zeigte sich 2017 am Beispiel des AKW Neckarwestheim: An den dünnwandigen Heizrohren, die den Dampf für die Turbinen des Kraftwerks erzeugen, war es zu so genannter Spannungsrisskorrosion gekommen. Dabei können die durch Korrosion geschwächten Rohre plötzlich Risse bekommen, das darin unter hohem Druck fließende radioaktive Wasser tritt aus und es kann in der Folge zu einem komplizierten Störfall kommen.

Die weiter in Betrieb befindlichen AKW Isar 2 und Emsland dürften ähnliche Probleme aufweisen, jedoch sahen Betreiber und Aufsichtsbehörden sich bisher nicht veranlasst, hier genauere Prüfungen durchzuführen (Wir berichteten).

Endlager-Suche und Kosten-Frage weiter völlig offen

Neben den Sicherheitsrisiken gehen in der aktuellen Debatte die weiter ungeklärte Frage nach einem sicheren Endlager sowie die hohen Kosten für den Weiterbetrieb weitgehend unter. Denn die Betreiber wollen jegliche Kosten - sei es für Genehmigungen oder Haftungsfälle -  auf den Staat abschieben, sollte es zu einer Laufzeitverlängerung kommen. Zumal mit einem Weiterbetrieb unter Einsatz neuer Brennstäbe auch der für die Energiekonzerne äußerst lukrative Atommüll-Deal unweigerlich wieder aufgemacht werden müsste. Nur wenn der Preis, den die Bundesregierung auf Kosten der Bevölkerung zu zahlen bereit ist, hoch genug ist, werden die Energiekonzerne sich auf die ökonomisch unsinnige Laufzeitverlängerung einlassen.

Atomdebatte führt in die Irre

Die Debatte über einen Weiterbetrieb der verbliebenen AKWs und die Neubeschaffung von Uran ist voll entbrannt, sogar über die Reaktivierung bereits stillgelegter Atom-Kraftwerke wird schon diskutiert. Das ist falsch, denn diese Kraftwerke stellen weiterhin ein unkalkulierbares Risiko dar.

Doch der Schaden, den diese Debatte verursacht, reicht weit über den Bereich der Atompolitik hinaus. Denn während über Streckbetrieb oder neue Brennelemente diskutiert werden, sind sozial brisante Fragen wie die Verteilung des knappen Gases während einer Mangellage in den Hintergrund geraten. Soziale Gerechtigkeit und eine beschleunigte Wärmewende müssen jetzt im Zentrum stehen und nicht der Weiterbetrieb veralteter Reaktoren.

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