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Pestizidprozess: Einzig verbliebener Kläger taucht nicht auf

(5.11.2021) Über ein Jahr zieht sich der Südtiroler Pestizidprozess nun schon hin. Am vergangenen Freitag mussten wir erneut nach Bozen reisen und feststellen, dass uns das Verfahren auch im Jahr 2022 begleiten wird – obwohl von den ursprünglich über 1300 Anzeigen mittlerweile alle bis auf eine zurückgezogen sind.

Dreizehn Monate ist es inzwischen her, dass unser Mitarbeiter Karl Bär zum ersten Mal auf der Anklagebank Platz nehmen musste, weil er im Rahmen unserer satirischen „Pestizidtirol“-Aktion im Jahr 2017 den hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert hatte. Der Hintergrund: In dieser berechtigten Kritik hatte Arnold Schuler, der Landesrat für Landwirtschaft der autonomen Region Bozen, den Tatbestand der üblen Nachrede für gegeben gesehen, Anzeige erstattet und 1375 Obstbäuerinnen und Obstbauern aus der Region dazu gebracht, sich seinem Strafantrag anzuschließen. Nachdem die Staatsanwaltschaft zwei Jahre lang ermittelt hatte, erhob sie tatsächlich Anklage, sodass am 15. September 2020 der Prozess gegen unseren Kollegen Karl Bär eröffnet wurde, der mittlerweile als Abgeordneter für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag sitzt.

Klage mit unberechenbaren Folgen

Was folgte, war ein Jahr voller Verzögerungen und Verschiebungen, in dem wir viel Zeit, Geld und Energie in die Vorbereitung von mittlerweile vier Gerichtsterminen stecken mussten. In einem beinahe verlässlichen Dreimonats-Abstand musste Karl Bär die Reise über die Alpen antreten, um als Angeklagter in einem Strafgerichtsverfahren zu erscheinen, dessen einziger Zweck es ist, Kritiker:innen einzuschüchtern und die Schattenseiten der intensiven Obstwirtschaft in der nördlichsten Provinz Italiens unter den Teppich zu kehren. Nicht nur für ihn, sondern auch für seine Kolleg:innen im Umweltinstitut bedeuteten diese Gerichtstermine jedes Mal einen hohen Arbeitsaufwand: Nicht nur die juristische Strategie mussten wir gemeinsam mit unserem Anwaltsteam immer wieder neu justieren, sondern auch die deutsche und italienische Presse und unsere parlamentarischen Beobachter:innen mit Informationen versorgen und die neuesten Entwicklungen für unsere Unterstützer:innen nachzeichnen.

Ein endloses Verfahren?

Gleichzeitig sind wir im November 2021 im Gerichtsverfahren nicht viel weiter als zum Prozessauftakt im September 2020. Denn an keinem der vier Termine ging es bisher um die eigentliche Sache – den hohen Pestizideinsatz in Südtirol und unsere Kritik daran. Stattdessen standen führten Aufschiebungs- und Verzögerungstaktiken der Gegenseite zu einer Verschiebung nach der nächsten. Zwar konnten wir einen großen Erfolg verbuchen: Durch unsere unermüdliche Verteidigung auch vor den Augen der Öffentlichkeit gelang es uns, 1375 der 1376 Kläger:innen zum Rückzug ihrer Anzeigen zu bewegen. Da sich aber ein Obstbauer beharrlich weigert, seinen Strafantrag zurückzuziehen, geht der Prozess für uns unverändert weiter. Dieser letzte verbliebene Kläger machte sich jedoch nicht einmal die Mühe, zum letzten Gerichtstermin am 28.10.2021 zu erscheinen, obwohl er von der Staatsanwaltschaft als Zeuge vorgeladen war. Die Verhandlung musste erneut vertagt werden. Zur nächsten Anhörung am 28. Januar 2022 wird der Kläger nun von der Polizei abgeholt werden, wie der Richter entschied.

Ein SLAPP, wie er im Buche steht

Während das Verfahren immer absurdere Züge annimmt, offenbart der Südtiroler Angriff auf unsere Aufklärungsarbeit über Pestizide deutlicher denn je sein Wesen als SLAPP (strategic lawsuit against public participation): Die juristische Ohrfeige dient nicht etwa dazu, ein reales Unrecht richtig zu stellen – hält es der vermeintlich Geschädigte offenbar noch nicht einmal für nötig, vor Gericht zu erklären, welcher Schaden ihm entstanden ist – sondern in erster Linie dazu, Kritiker:innen des hohen Pestizideinsatzes in Südtirol einzuschüchtern und in endlosen Gerichtsverfahren zu zermürben. Fast nebenbei werden die Ressourcen der Justiz in einem völlig gegenstandlosen Verfahren verbraucht, das nur der eigenen Profilierung dient.

Wir bleiben standhaft

Trotz der nervenzehrenden Schikane lassen wir uns nicht unterkriegen. Denn im Südtiroler Pestizidprozess geht es nicht nur um uns als Organisation, sondern es ist ein Angriff auf uns alle: SLAPP-Klagen greifen Grundwerte unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Kern an und bedrohen all diejenigen, die im öffentlichen Interesse Missstände benennen. Deshalb werden wir uns vor Gericht weiterhin mit ganzem Einsatz verteidigen und ein starkes Zeichen senden: Wer Kritiker:innen vor Gericht zerrt, muss mit massivem Widerstand und gewaltigem Gegenwind rechnen!

SLAPPs bekämpfen: Dafür brauchen wir Sie!

Um SLAPP-Klagen gegen kritische Stimmen europaweit ein Ende zu setzen, sind wir auf Ihre Hilfe angewiesen. Bitte unterschreiben Sie unsere Petition an die EU-Kommission, um dem Justizimissbrauch in Europa endlich den Riegel vorzuschieben.

Foto-Galerie mit Eindrücken vom vierten Prozesstag
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