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Pestizide: Das „notwendige Maß“ ist Null!

Die Ampel-Parteien bleiben in ihren Sondierungsergebnissen beim Thema Pestizide unambitioniert und vage (Bild: Ben Schonewille / stock.adobe.com)

Die Ampel-Parteien bleiben in ihren Sondierungsergebnissen beim Thema Pestizide unambitioniert und vage (Bild: Ben Schonewille / stock.adobe.com)

(20.10.2021) In ihren Sondierungen haben sich SPD, Grüne und FDP auf das Ziel geeinigt, den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft künftig zu beschränken. Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich die Absichtserklärung im Sondierungspapier als vage und unambitioniert. Dabei hätte die nächste Bundesregierung die Chance, endlich den dringend notwendigen Pestizidausstieg auf den Weg zu bringen – und damit auch die Forderungen der Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ umzusetzen.

In ihrem vergangenen Freitag veröffentlichten Sondierungspapier gehen SPD, Grüne und FDP auch auf den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft ein:

„Das Artensterben, der Verlust der Biodiversität ist eine weitere ökologische Krise. Wir wollen wirksame Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt und der Natur ergreifen. Dazu unterstützen wir die Landwirtschaft, einen nachhaltigen, umwelt- und naturverträglichen Pfad einzuschlagen; Ziel ist gleichzeitig, ein langfristig auskömmliches Einkommen für die Landwirtinnen und Landwirte zu sichern. (…) Wir wollen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das notwenige Maß beschränken. Pflanzen sollen so geschützt werden, dass Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität vermieden werden.“

Absichtserklärung ohne jegliche Substanz

Die von den Sondierer:innen gewählte Formulierung des „notwendigen Maßes“ bei Pestiziden ist nicht neu, sondern wird bereits seit vielen Jahren von agrarindustrienahen Gruppierungen verwendet. Der Begriff basiert auf der Annahme, dass die in der Praxis durchschnittlich eingesetzten Mengen an Ackergiften dem „notwendigen Maß“ entsprechen, wenn diese niedriger sind als die von den Herstellern empfohlene Dosierung. Eng verknüpft ist die Formulierung auch mit dem sogenannten „integrierten Pflanzenschutz“, der seit 2014 für alle Landwirt:innen in der EU verpflichtend ist und eigentlich zu einer Reduktion von chemisch-synthetischen Pestiziden führen sollte. Doch seitdem hat sich der Inlandsabsatz von Pestiziden kaum verändert. Die zugrundeliegende EU-Richtlinie erweist sich insofern als zahnloser Papiertiger, deren Einhaltung von den zuständigen Behörden nur unzureichend geprüft wird.

Der Begriff des „notwendigen Maßes“ ist im Hinblick auf Pestizide also reine Schönfärberei und birgt das Risiko, dass der Status Quo zementiert wird, anstatt tatsächlich eine „wirksame Maßnahme zum Schutz der Artenvielfalt und der Natur“ darzustellen, wie im Sondierungspapier beteuert wird.

Das „notwendige Maß“ ist Null!

Doch über 35.000 Bio-Betriebe in Deutschland beweisen: Das „notwendige Maß“ bei Pestiziden ist in Wirklichkeit Null! Denn der Bio-Anbau kommt vollständig ohne chemisch-synthetische Pestizide aus und setzt stattdessen beispielsweise auf agrarökologische Maßnahmen, um Pflanzen vor Krankheiten und Schädlingsbefall zu schützen.

Nur durch ein komplettes Aus für Ackergifte wie Glyphosat und Co. können „Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität“ wirklich vermieden werden. Sollen unsere Gesundheit und die Artenvielfalt in der nächsten Legislaturperiode wirklich geschützt werden, so müssen sich die Parteien während der Koalitionsverhandlungen auf den Ausstieg aus der Pestizidnutzung einigen.

Konkreter Ausstiegsplan ist notwendig

Einen solchen schrittweisen Pestizidausstieg fordern auch über eine Million Europäer:innen – darunter über 450.000 Deutsche –, die unsere erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative „Bienen und Bauern retten“ unterzeichnet haben. Das europaweite Bündnis fordert eine Reduktion synthetischer Pestizide um 80 Prozent bis 2030 und den kompletten Ausstieg aus deren Nutzung bis spätestens 2035 in allen EU-Mitgliedstaaten. Um den notwenigen Übergang zur Agrarökologie zu ermöglichen, soll die Forschung zu pestizid- und gentechnikfreier Landwirtschaft gestärkt und Landwirt:innen intensiv fachlich und finanziell unterstützt werden, so die Forderungen der Bürgerinitiative.

Nur ein konkreter Ausstiegsplan bietet auch Bäuerinnen und Bauern die notwendige Planungssicherheit und somit die Möglichkeit, den im Sondierungspapier gewünschten „nachhaltigen, umwelt- und naturverträglichen Pfad“ einzuschlagen. Ein „Weiter so“ wird hingegen die Biodiversitätskrise verschärfen und unsere Lebensgrundlagen zusehends gefährden.

Unsere Forderungen an die künftige Bundesregierung

Deshalb muss die schwammige Formulierung aus den Sondierungsgesprächen dringend konkretisiert und mit Maßnahmen untermauert werden. Wir haben SPD, Grüne und FDP dazu aufgefordert, in den Koalitionsgesprächen einen Ausstieg aus dem Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide bis spätestens 2035 zu beschließen. In der Übergangsphase bis zum Komplettausstieg müssen Anwendungsverbote für die schädlichsten Pestizide erlassen und ein umfassendes Monitoring von Luft, Böden, Vegetation und Wasser auf Pestizidrückstände eingeführt werden. Nur so können die schlimmsten Auswirkungen der Mittel für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität bis zum endgültigen Verzicht eingedämmt werden.

Bis zum Komplettausstieg: Absolute Transparenz!

Außerdem muss absolute Transparenz beim Einsatz der Ackergifte geschaffen werden. Denn bisher weiß niemand – nicht einmal die zuständigen Behörden – welche Pestizide wann, wo und in welchen Mengen tatsächlich ausgebracht werden. Landwirt:innen müssen diese Informationen zwar in sogenannten „Spritzheften“ oder „Betriebsheften“ dokumentieren, danach verschwinden die Daten jedoch meist ungelesen in den Schubladen ihrer Schreibtische und dürfen nach drei Jahren vernichtet werden. Ungeachtet der enormen Bedeutung solcher Daten für die Erforschung der Gefahren von Pestiziden in der praktischen Anwendung findet eine zentrale Erfassung durch Behörden bislang nicht statt und auch geprüft werden die Aufzeichnungen nur stichprobenartig. Die nächste Bundesregierung muss hier dringend Licht ins Dunkel bringen und diese wichtigen Umweltinformationen unkompliziert zur Verfügung stellen.

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