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Auftakt im Pestizidprozess: So lief der erste Verhandlungstag

Vor Gericht: Unser Agrarreferent Karl Bär auf der Anklagebank mit unserem Anwaltsteam Francesca Cancellaro und Nicola Canestrini. Am Mikrofon der Anwalt der Nebenkläger, Dr. Michael Grüner. (© Umweltinstitut / Jörg Farys)

Hinter mir liegen aufregende und aufreibende Tage: Am Dienstag begann in Bozen das Gerichtsverfahren gegen mich, das der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler wegen unserer Pestizidtirol-Kampagne aus dem Sommer 2017 angestrengt hatte. Damals hatten wir mit einem Plakat und einer Website im Stil der Südtiroler Tourismus-Werbung auf den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion aufmerksam gemacht. Schuler zeigte mich und mehrere KollegInnen deshalb wegen übler Nachrede und Missbrauch der Marke „Südtirol“ an. 1367 LandwirtInnen schlossen sich der Anzeige des Landesrats an. Im Falle einer Verurteilung drohen mir eine Geld- oder sogar Haftstrafe und Schadensersatzforderungen der LandwirtInnen.

Auf diesen Versuch der Obstlobby, die Kritik am übermäßigen Pestizideinsatz mit Klagen zum Schweigen zu bringen, machten wir letzte Woche mit einer zweisprachigen Pressekonferenz in Bozen die Medien aufmerksam. Dadurch wurde schon vor Prozessbeginn intensiv in den italienischen und internationalen Medien über das Verfahren berichtet und viele Verbündete kamen uns zur Hilfe: Campact und WeMove starteten gemeinsam mit uns einen Online-Appell an Schuler, den innerhalb weniger Tage mehr als 230.000 Menschen unterzeichneten. Mehrere große deutsche und italienische Umweltorganisationen gaben am Montag eigene Pressemitteilungen heraus, um auf den Fall aufmerksam zu machen.

Am Dienstag erschien in den italienischen Tageszeitungen „La Repubblica“ und „La Stampa“ eine von über 100 Organisationen aus 18 Ländern unterzeichnete ganzseitige Solidaritätserklärung. Und zum Prozessauftakt demonstrierten dann Südtiroler UmweltschützerInnen gemeinsam mit uns vor dem Gerichtsgebäude während Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament, dem Südtiroler und dem Bayerischen Landtag als parlamentarische BeobachterInnen mit ins Gericht kamen. Viele unserer Newsletter-LeserInnen entschieden sich zudem in den letzten Tagen uns mit einer Spende oder Fördermitgliedschaft zu unterstützen. Für diese Welle der Solidarität möchten wir uns ganz herzlich bedanken!

Das große öffentliche Interesse hat Arnold Schuler wohl kalt erwischt. Schon in den Tagen vor dem Prozessauftakt kam er auf uns zu und schlug vor, sich außergerichtlich zu einigen. Die Gespräche scheiterten jedoch daran, dass Herr Schuler uns nicht verbindlich zusichern konnte, dass alle 1367 Anzeigen zurückgezogen werden. Der öffentliche Druck war trotzdem so groß, dass Schuler am Montag dennoch per Pressemitteilung ankündigte, die Anzeigen zurückzuziehen. Am Dienstag folgte darauf dann Ernüchterung und Verwirrung: Keine einzige Anzeige war zurückgenommen. Die Anwälte von Schuler und den Obmännern der beiden Südtiroler Obstgenossenschaften VOG und VIP meldeten ihre drei Klienten sogar noch als Nebenkläger an – und bestätigten gleichzeitig vor Gericht noch einmal, dass sie vorhaben, alle Anzeigen zurückzunehmen. Offenbar fehlen ihnen aber die Vollmachten der vielen LandwirtInnen, die uns gemeinsam mit ihnen angezeigt haben. Der Richter setzte ihnen daraufhin eine Frist: Am 27. November sehen wir uns wieder vor Gericht. Bis dahin haben sie Zeit, die nötigen Vollmachten einzuholen.

Auch wenn alles danach aussieht, als ob der Prozess zu einem überraschend schnellen Ende kommen könnte, bleiben wir auf Anraten unseres Anwaltsteams vorsichtig: Solange nur eine einzige Anzeige aufrechterhalten wird, geht das Verfahren wegen übler Nachrede gegen mich weiter. Außerdem wird der Vorwurf der Markenfälschung von der Staatsanwaltschaft auch unabhängig von den Anzeigen verfolgt. Schon vor meinem nächsten Gerichtstermin entscheidet am 22. Oktober ein anderer Richter, ob auch gegen einige meiner KollegInnen und den Geschäftsführer des oekom Verlags Anklage erhoben wird. Und am 14. Januar beginnt das Strafverfahren gegen Alexander Schiebel, der wegen seines Buchs „Das Wunder von Mals“ von Schuler und 1600 LandwirtInnen ebenfalls angezeigt wurde. Auch wenn sich Schuler alle Mühe gegeben hat, diesen Eindruck in der Presse zu hinterlassen: Der Pestizidprozess ist keinesfalls schon beendet. Vor uns liegen noch mindestens drei Gerichtstermine – und womöglich doch noch ein mehrjähriges juristisches Verfahren in Italien.

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