Home  trenner  Meldungen  trenner  Auch viele Bauern haben es satt!
Widerstand gegen Umweltauflagen

Unter der Überschrift „Land schafft Verbindung“ laufen seit Oktober letzten Jahres deutschlandweit Bäuerinnen und Bauern Sturm, die sich politisch überfahren und gesellschaftlich herabgesetzt fühlen. Viele LandwirtInnen fühlen sich aufgerieben zwischen dem enormen Preisdruck einerseits und den gewachsenen Erwartungen der Öffentlichkeit an eine ökologische und tiergerechte Landwirtschaft andererseits. Konkreten Anlass für die schlechte Stimmung unter den Bäuerinnen und Bauern gab im September das neue Agrarpaket, mit dem die Bundesregierung endlich auf den öffentlichen Druck zu reagieren versuchte. Dieses Maßnahmenpaket lässt sich im Kern so zusammenfassen: Ein freiwilliges Tierwohl-Label, ein verschleppter Glyphosat-Ausstieg, ein nur auf Schutzgebiete beschränktes Verbot von Pestiziden ab 2021 und geringfügig mehr EU-Gelder für Umweltschutz-Maßnahmen in der Landwirtschaft.

Stirbt die Biene, stirbt auch die Landwirtschaft

Die Maßnahmen des Agrarpakets sind also bei weitem noch nicht ausreichend, um den dramatischen Verlust von Artenvielfalt und die fortschreitende Umweltzerstörung aufzuhalten: Die fehlgeleitete Agrarpolitik der letzten Jahre - völlig einseitig auf Ertragssteigerung durch Ackergifte und Massentierhaltung ausgerichtet - hat schließlich unsere Ökosysteme an den Rand des Kollaps geführt: Allein in den letzten zehn Jahren sind ein Drittel der Insektenarten aus unseren Feldern, Wiesen und Wäldern verschwunden. Ein drastisches Beispiel: Unter den Wildbienen sind in Deutschland bei knapp der Hälfte der 561 Arten die Populationen rückgängig, wie der gerade erschienene Insektenatlas von BUND und Heinrich-Böll-Stiftung verzeichnet.  Mitverantwortlich für diesen dramatischen Verlust von Biodiversität ist ohne Zweifel die intensive Landwirtschaft, die die Lebensräume zahlreicher Arten zugunsten von ausgeräumten Agrarwüsten zerstört, Insektengifte en masse verspritzt und die sensible Gewässerökologie von Flüssen und Seen durch Überdüngung aus dem Gleichgewicht bringt. Die industrielle Landwirtschaft bedroht dabei nicht nur Insekten, Vögel und ganze Ökosysteme, sondern auch unsere eigene Existenzgrundlage. Immerhin 75 Prozent der wichtigsten Kulturpflanzen sind schließlich von der Bestäubungsleistung durch Insekten abhängig: Schwinden diese, droht bei Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken ein Ernterückgang von bis zu 90 Prozent. Stirbt die Biene, bleiben auch unsere Teller leer, so die einfache Gleichung für VerbraucherInnen. Stirbt die Biene, stirbt die Landwirtschaft, gilt aber auch auf Seite der ProduzentInnen.

Naturzerstörung ist Selbstzerstörung

Was für den Insektenschutz gilt, trifft auch auf den Klimaschutz zu: Weltweit ist der Landwirtschaftssektor für ein Viertel aller klimaschädlichen Emissionen zuständig, wie der IPCC-Sonderbericht zu den Wechselwirkungen von Landnutzung und Klimawandel vergangenes Jahr bestätigte. Gelingt es uns nicht, die schlimmsten Ausmaße des Klimawandels noch aufzuhalten, wird immer mehr landwirtschaftlich nutzbare Fläche verloren gehen, z.B. aufgrund von Bodenerosion durch starke Regenfälle oder durch Wüstenbildung nach Hitzewellen und Dürreperioden. Anders gesagt: Schafft die Landwirtschaft nicht bald die Trendwende hin zu einer natur- und klimaverträglichen Wirtschaftsweise, wird sie sich langsam aber sicher selbst abschaffen. Gerade Bäuerinnen und Bauern werden dann als erstes ihre Existenzgrundlage verlieren. Der Weg hin zu einer natur- und klimaverträglichen Landwirtschaft wird zweifelsohne allen Beteiligten einiges abverlangen, ist aber dennoch alternativlos, wollen wir als Gesellschaft unsere eigenen Lebensgrundlagen erhalten.

"Business as usual" keine Option mehr

Zwar ist die Wut der Bäuerinnen und Bauern verständlich, denen die Politik jahrzehntelang eine Anpassung an eine naturzerstörerische und profitorientierte Wirtschaftsweise abverlangte. Selbst die relativ laschen Neuregelungen stellen für viele Betriebe jetzt eine große Herausforderung dar, da sie sich in eine Richtung entwickelt haben, die jahrelang von Politik, Wissenschaft und mächtigen Lobbyverbänden als Nonplusultra verkauft wurde und vor allem ein Ziel verfolgte: Die Herstellung möglichst billiger Lebensmittel für den internationalen Handel. Galt bisher stets ohne Rücksicht auf Verluste das Motto „Wachse oder Weiche“, sollen die LandwirtInnen nun den Spagat zwischen einer zumindest augenscheinlich ökologischeren Produktionsweise und unverminderter internationaler Wettbewerbsfähigkeit schaffen.

Die Forderung muss lauten: „Mehr, nicht weniger Naturschutz“

Dennoch ist der wütende Protest gegen strengere Naturschutz-Regelungen fehl am Platz. Den lauten Protestruf der Lobby der großen Agrarkonzerne gegen strengere Umweltauflagen zu wiederholen, bedeutet auf ein sinkendes Schiff aufzuspringen: Dass Business as usual in der Landwirtschaft keine Option mehr ist, stellte der Weltagrarrat bereits 2008 fest. Zu den zentralen Empfehlungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft zählte schon damals der Umstieg auf Anbaumethoden mit geringem externen Input wie Düngemitteln, die Förderung und Weiterentwicklung agrarökologischer Methoden wie Ökolandbau und der biologische Ersatz von chemisch-synthetischen Ackergiften. Wollen sie auch in Zukunft von der Landwirtschaft leben, täten die Bäuerinnen und Bauern gut daran, sich für den Erhalt ihrer eigenen Lebensgrundlagen einzusetzen. Unter den BiolandwirtInnen und progressiven bäuerlichen Interessensvertretungen wie der ABL (Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft) hat sich derweil bereits seit langem die Erkenntnis durchgesetzt, dass weniger, nicht mehr Chemie, mehr, nicht weniger Naturschutz das Credo der Zukunft sein muss – der Zukunft des Planeten, doch auch der Zukunft der Landwirtschaft selbst.

Artensterben und Höfesterben gehen Hand in Hand

Das gegenwärtige Modell intensiver Landwirtschaft schadet nicht nur Natur, Umwelt und VerbraucherInnen, sondern gerade auch den Bäuerinnen und Bauern selbst. Das dramatische Höfesterben der letzten Jahrzehnte spricht für sich: Als Folge der politisch angestrebten internationalen Kostenführerschaft mussten Betriebe in den letzten 10 bis 20 Jahren immer größere Wachstumsschritte machen, dafür Fremdkapital aufnehmen, Flächen hinzupachten und enorme Produktivitätssteigerungen erreichen. Wer hier nicht mithalten konnte, musste den Hof aufgeben. Und selbst die Betriebe, die sich halten konnten, tun sich schwer, kostendeckend zu wirtschaften, sei es wegen rapide steigender Pachtpreise oder massiven Preisdruck aufgrund der viel beschworenen „Butterberge und Milchseen“. Hierin liegt der wahre Grund für Hofaufgaben und fehlende HofnachfolgerInnen, nicht im Volksbegehren „Rettet die Bienen“ oder im Agrarpaket der Bundesregierung. Ökobäuerinnen und -bauern machen es seit langem vor: Die Landwirtschaft der Zukunft liegt in einer naturverträglichen und bäuerlichen Wirtschaftsweise, nicht in großindustriellen Agrarfabriken und (selbst-)zerstörerischer Massenproduktion. Ein bisschen mehr Tierwohl, aber freiwillig, Glyphosatverbot, aber erst 2024 – die Maßnahmen des Agrarpakets sind ein Pflaster, das einem sterbenden Patienten aufgeklebt wird. Statt Symbolpolitik zu betreiben, muss die Politik endlich mit der anstehenden Reform der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Bäuerinnen und Bauern beim Umstieg zu einer nachhaltigen Landwirtschaft unterstützt werden. Diese Forderung unserer Europäischen Bürgerinitiative „Bienen und Bauern Retten“ werden wir am 18. Januar auf der Wir-haben-es-satt-Demo erneut laut machen.

Wir haben Agrarindustrie satt!

Längst nicht alle LandwirtInnen sehen unsere Bewegung im Widerspruch zu ihren Interessen. Viele Bäuerinnen und Bauern werden deshalb auch in diesem Jahr wieder bei der "Wir haben es satt"-Demo in Berlin für die Agrarwende demonstrieren. Werden auch Sie aktiv für den längst überfälligen Wandel in der Agrarpolitik: Kommen Sie am 18. Januar nach Berlin und senden Sie ein deutliches Zeichen an Julia Klöckner und KollegInnen: Wir haben Agrarindustrie satt! Fordern wir vor der anstehenden GAP-Reform gemeinsam: Agrarwende anpacken, Klima schützen, Artenvielfalt erhalten!

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