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Nachhilfe für die Politik

Keine große Partei hat einen Plan für das 1,5-Grad-Ziel, deshalb hilft Fridays for Future nach

(Foto: Fridays For Future Deutschland)

(4. November 2020) Zwischen der Klimapolitik der Bundesregierung und dem von ihr mitgetragenen Klimaabkommen von Paris klafft eine immense Lücke. Mitte Oktober legte die Klimabewegung Fridays for Future deshalb eine Studie vor, in der dargelegt wird, wie ein klimagerechter Beitrag Deutschlands aussehen würde. Bis 2035 muss Deutschland seine Emissionen auf Nettonull reduzieren, heißt es in der Studie die das Wuppertal Institut für FFF erarbeitete.  

In unserem Interview erklärt Sebastian Grieme von Fridays for Future, welche Maßnahmen die Studie vorschlägt, wie die Politik reagierte und wie aus der Studie Realtität werden kann.

? Hat sich die Bundesregierung schon bei euch bedankt, dass ihr ihnen einen Plan zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens liefert?

Sebastian Grieme: Bedauerlicherweise noch nicht. Offensichtlich ist die 1,5-Grad-Grenze nicht das Ziel der Bundesregierung. Es besteht eine riesige Lücke zwischen dem, was öffentlich als Ziel angegeben wird und dem, was schlussendlich verfolgt wird. Die tatsächliche Politik steht dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und selbst dem deutlich schwächeren 2-Grad-Ziel der Bundesregierung völlig entgegen. Das ist eine gefährliche Kommunikation: Einerseits sagt die Bundesregierung, sie wolle 1,5 Grad einhalten. Andererseits tut sie alles dafür, dass die Erwärmung deutlich darüber hinaus geht.

? Spielst du damit auf das Ziel der Bundesregierung an, erst 2050 klimaneutral sein zu wollen?

Ja. Wir sehen aktuell, dass sich eine sehr breite Koalition um dieses Ziel bildet, das die Politik vorgegeben hat. Es werden Untersuchungen vorangetrieben, wie man bis 2050 klimaneutral werden kann und Unternehmen richten ihre Ziele danach aus. Als Klimabewegung ist es wichtig, dieses 2050-Ziel aufzubrechen und klarzumachen, wie schnell es stattdessen gehen muss.

? Was sind die zentralen Aussagen eurer Studie?

Die zentrale Aussage ist, dass es keine großen technischen und ökonomischen Hindernisse für eine CO2-Neutralität bis 2035 beziehungsweise zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze gibt. Dass politisch eine Menge dafür passieren muss, ist uns natürlich völlig klar. Doch technisch und ökonomisch ist es machbar. Diese zentrale Aussage spielt den Ball zurück zur Politik, denn dort wird erzählt, dass eine Klimaneutralität bis 2035 nicht erreichbar sei. Die Studie zeigt aber: Doch, das geht! Also: Keine faulen Ausreden mit Verweis auf fehlende Technologien! Bislang fehlt nur der Wille zur Umsetzung.

? Mit welchen Maßnahmen kann Deutschland bis 2035 CO2-neutral sein?

Ich springe dazu einfach mal kurz durch die Sektoren, um einen Eindruck zu vermitteln, wie groß die Herausforderungen sind: Bei der Stromerzeugung müssten wir pro Jahr 25 bis 30 Gigawatt an Erneuerbaren Energien hinzubauen. Das ist das Vier- bis Fünffache des aktuellen Zuwachses. Der Autoverkehr müsste bis 2035 halbiert und zugleich die Kapazität des öffentlichen Verkehrs verdoppelt werden. In der Industrie müssen wir sofort aufhören, neue fossile Anlagen, wie zum Beispiel Hochöfen, zu bauen. Die Dinger sind nicht kompatibel mit einer Klimaneutralität in naher Zukunft, denn sie laufen jahrzehntelang. Im Gebäudebereich muss die Sanierungsrate bis auf vier Prozent gesteigert werden – das hat es historisch noch nicht gegeben. Gleichzeitig müssen wir quasi sofort aufhören, fossile Heizungen einzubauen; im Gegensatz dazu werden heute immer noch 80 Prozent der neu installierten Heizungen fossil betrieben. Vor allem Erdgas ist auch hier ein riesiges Problem. Die Gesetze für diese und viele weitere Maßnahmen müssen jetzt auf den Weg gebracht werden.

? Und trotzdem werfen manche eurer Studie vor, sie wäre nicht ganzheitlich genug. Was erwidert Ihr auf diese Vorwürfe?

Ich denke dieser Vorwurf zeigt vor allem, dass nach Wegen gesucht wird, die inhaltlichen Aussagen in Frage zu stellen und die Ergebnisse zu diskreditieren. Dazu werden Scheindebatten aufgemacht, um sich so vor den Notwendigkeiten zu drücken.

? Welche weiteren Reaktionen gibt es auf die Studie? Was hat sich seit der Veröffentlichung getan?

Politiker:innen werden vorsichtiger. Das Bewusstsein dafür, was es bedeuten würde, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, ist gewachsen. Zu behaupten, man wolle 1,5 Grad einhalten und gleichzeitig absurd schwache Maßnahmen dafür vorzulegen, ist nun nicht mehr so einfach. Ansonsten denke ich, dass Politiker:innen nicht gerne hören, was sie alles tun müssen. Die Gegenstrategie ist, einfach zu schweigen. Was wir natürlich nicht hinnehmen werden.

? Eure Studie zeigt: Die nötigen Emissionseinsparungen sind technisch möglich. Zugleich zeigt sie aber: Das Wirtschaftswachstum müsste dazu deutlich sinken. Eigentlich geht es also um deutlich mehr, nämlich um den Umbau unseres Wirtschaftssystems, das auf Wachstum ausgerichtet ist. Wie schaffen wir dafür gesellschaftliche Mehrheiten?

Wir müssen die wichtigsten gesellschaftlichen Ziele priorisieren. Um die Klimakrise abzuwenden, müssen wir jetzt die nötigen Maßnahmen umsetzen, die zu 1,5 Grad führen. Wenn die Wirtschaft damit weiterwachsen kann, fein. Wenn nicht, muss das Wirtschaftswachstum hintenanstehen.

? Das Wuppertal Institut legt seinen Berechnungen die Annahme zugrunde, dass die künftigen Pro-Kopf-Emissionen weltweit gleich verteilt werden. Bedeutet Klimagerechtigkeit aber nicht auch, die historischen Emissionen zu berücksichtigen und den Umstand, dass ein großer Teil der Emissionen der Industrieländer in Länder des globalen Südens ausgelagert ist?

Die Frage nach Klimagerechtigkeit ist eine extrem wichtige. Die Studie zeigt auf, dass es nicht damit getan ist, wenn Deutschland bis 2035 klimaneutral ist. Auch weniger wohlhabende Länder müssen massiv dabei unterstützt werden, klimaneutral zu werden. Und zwar ohne große Gegenleistung, – denn Deutschland hat mit seinen bisherigen Emissionen erheblich zur Erderhitzung beigetragen und so auch in vielen dieser Länder immensen Schaden angerichtet.

? Die Studie ist eine Machbarkeitsstudie. Wie sorgt ihr, wie kann die Klimabewegung dafür sorgen, dass aus dem Machbaren Realität wird?

Wichtig ist es, das 1,5-Grad-Ziel als rote Linie zu betrachten. 1,5 Grad ist keine Utopie, kein ganz schönes, aber nicht erreichbares Ziel. Es handelt sich dabei um eine physikalische Grenze. Wenn wir darüber hinaus gehen, wird’s hässlich. Beispielsweise verlieren wir dann höchstwahrscheinlich alle Korallenriffe, den größten Hotspot der Biodiversität in den Meeren und zugleich die Lebensgrundlage von 500 Millionen Menschen. Letztendlich wird sich alles daran bemessen, ob es gelingt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Deshalb müssen wir alle an einem Strang ziehen und das 1,5-Grad-Ziel in den Mittelpunkt der Diskussion stellen. Politische Maßnahmen müssen wir konsequent von diesem Ziel her denken.

Vielen Dank für das Gespräch!

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