Die Klimabewegung im Krisenmodus

"Klimagerechtigkeit jetzt!" - Protest von Fridays for Future (Foto: Umweltinstitut/ RL)
(1. April 2020) Je nach Alter, beruflicher und privater Lebenssituation erleben wir die aktuelle durch das Corona-Virus ausgelöste Krise sehr unterschiedlich. In jedem Fall bedeutet sie aber für uns alle eine tiefe Zäsur. Im Umweltinstitut sind wir trotz alledem weiter auf Hochtouren aktiv, um bei unseren Themen Atomausstieg, Energiewende und ökologische Landwirtschaft voranzukommen. Gerade im Klima-Team setzen wir uns intensiv damit auseinander, was die Coronakrise für unsere Arbeit bedeutet.
Für die Klimabewegung ist der Einschnitt durch Corona besonders spürbar. Erst wenige Monate ist es her, dass Deutschland und die ganze Welt die größte Klimademonstration aller Zeiten erlebt haben, überall im Land gründeten sich lokale Gruppen von Fridays for Future, Parents for Future und andere Klima-Initiativen. Mit der „Klimawende von unten“ startete ein Klima-Bürgerbegehren nach dem anderen. Nachdem „Heißzeit“ das Wort des Jahres 2018 war, dominierte die „Klimakrise“ im vergangenen Jahr die Medienberichterstattung. Ernteausfälle, drohende Trinkwasserknappheit und Extremwetter führten dazu, dass der Klimawandel vom Weltwirtschaftsforum und von der breiten Öffentlichkeit als die größte Bedrohung unserer Zeit wahrgenommen wurde.
Diese hochdynamische Mischung aus wachsender politischer Bewegung und öffentlicher Resonanz hat mit der Coronakrise eine völlig unerwartete Vollbremsung erfahren. Die Bedrohung ihrer Gesundheit oder ihres Arbeitsplatzes beschäftigt viele Menschen gerade akuter als die Klimakrise. Öffentliche Versammlungen, das zentrale Element jeder politischen Aktivität, sind vorerst nicht möglich. Wir bemerken die Einschränkungen an allen Ecken und Enden: Unsere „Klimawende von unten“-Initiativen können geplante Unterschriftensammlungen für Klima-Bürgerbegehren nicht starten. Der große Klimastreik von „Fridays for Future“, den wir unterstützen, kann nur digital stattfinden. In den Medien spielt die Klimakrise aktuell kaum eine Rolle, so dass der Resonanzraum für unsere Kampagnen fehlt und Gesetzesprozesse zu klimapolitischen Themen verschieben sich.
Ebenso unerwartet tritt jetzt genau das ein, worauf wir hingearbeitet und was wir nicht mehr für möglich gehalten haben – denn mit dem „Klimapäckchen“ der Bundesregierung wäre es nicht zu schaffen gewesen: Das Klimaziel für das Jahr 2020 wird erreicht, ja vielleicht sogar übererfüllt. Der milde stürmische Winter, in dem wenig geheizt, dafür aber viel Energie aus Wind produziert wurde, hat dazu beigetragen. Den Rest erledigt der Corona-Virus oder vielmehr der dadurch ausgelöste Stillstand in vielen Bereichen der Wirtschaft und Freizeit – mit hohen sozialen Kosten.
Damit setzt sich ein Trend fort: Statt überlegtem politischem Handeln sind es vor allem irreguläre wirtschaftliche Einschnitte wie der Zusammenbruch der Industrie der ehemaligen DDR oder die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, die zu den größten Emissionssenkungen innerhalb kurzer Zeit geführt haben. Doch die Erfahrung zeigt, dass die kurzfristigen Rückgänge keine anhaltende Trendwende einläuten. Denn sobald die Wachstumswirtschaft wieder läuft, schnellt auch der Treibhausgasausstoß wieder hoch.
In ökonomischen Krisen droht Umwelt- und Klimaschutz schnell in den Hintergrund zu rücken. Priorität hat dann zunächst, die Wirtschaft zu beleben. Sofort wittern die altbekannten Bremser ihre Chance, den lästigen Umweltschutz einzudämmen. So hat die FDP bereits vorgeschlagen, Maßnahmen aus dem Klimapaket zu verschieben. Umso wichtiger ist es deshalb, einem umwelt- und klimapolitischen „Roll-back“ vorzubeugen. Mit einem Nachtragshaushalt für Corona-Hilfsmaßnahmen hat die Bundesregierung aktuell über 120 Milliarden Euro bereitgestellt. Das Ziel: die Wirtschaft zu stabilisieren und Arbeitsplätze und Unternehmen zu retten. Die hierfür in den kommenden Wochen und Monaten ergriffenen Maßnahmen gilt es nun zugleich auf eine sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft auszurichten. Das ist eine Chance, die aus der aktuellen Krise erwächst.
Nach der Krise im Jahr 2009 verpasste die Bundesregierung die Abzweigung in Richtung umweltfreundlichere Wirtschaft: Unter dem irreführenden Titel „Umweltprämie“ führte sie eine Subvention für den Autokauf ein, die sich als „Abwrackprämie“ einen zweifelhaften Namen gemacht hat. Aktuell bieten sich der Bundesregierung viele Möglichkeiten, Konjunkturförderung und Ökologie zu verbinden. So könnte sie den Solardeckel und die pauschalen Mindestabstände für Windkraftanlagen abschaffen sowie bürokratische Hürden für erneuerbare Energien abbauen – und so einen neuen Energiewende-Boom auslösen.
In den letzten Wochen haben sich gezwungenermaßen viele Arbeitsprozesse in das „Home Office“ und in die digitale Sphäre verlagert. Zahlreiche Menschen machen dabei die Erfahrung, dass sich – auch wenn die physische Begegnung weiterhin wichtig bleibt – mehr als gedacht in Videokonferenzen besprechen lässt und dass „Webinare“ manchen Vortrag gut ersetzen können. So ist es gut möglich, dass in Zukunft – allein aus finanziellen Gründen – so manche Dienstreise mit dem Flugzeug gestrichen wird.
Die Coronakrise hat uns allen klar vor Augen geführt, wie gefährlich es sein kann, wenn wir die Warnungen der Wissenschaft nicht ernst nehmen und dass zu spätes Handeln schwerwiegende Folgen haben kann. Wissenschaftliche Expertise spielt in diesen Wochen eine wesentliche Rolle bei politischen Entscheidungen – eine erfreuliche Tendenz angesichts von Populisten, die weltweit Fakten in Frage stellen. So ist zu hoffen, dass auch die Klimapolitik künftig stärker im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen steht.
Um einen klimapolitischen „Roll-Back“ zu verhindern und die beschriebenen Chancen zu nutzen, bleibt es wichtig, dass die im letzten Jahr stark gewachsene Klimabewegung auch in den kommenden Wochen und Monaten weiter ihre Stimme erhebt. Im Umweltinstitut nutzen wir die Zeit der Einschränkungen, um Ehrenamtliche mit Beratung dabei zu unterstützen, unter den aktuellen Bedingungen weiter aktiv zu sein. Gleichzeitig bereiten wir unsere nächsten Kampagnen vor, um bald wieder verstärkt gemeinsam mit Ihnen für Klimaschutz und Energiedemokratie zu kämpfen. Denn in der aktuellen Situation zeigt sich wieder einmal, dass regionale, dezentrale und demokratische Strukturen besonders krisensicher sind.
Wir hoffen, Sie sind gesund und von der aktuellen Situation nicht allzu beeinträchtigt. Bleiben Sie in diesen schwierigen Zeiten weiter an unserer Seite!
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