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Soziale Bewegungen mit transformativem Potential

(11. November 2020) "We will rise! Or: We will burn." Unsere doppelseitige Weltkarte zu Klimakrise und Klimagerechtigkeit zeigt, wie katastrophal es auf einer um drei Grad heißeren Welt aussehen würde. Zugleich präsentiert sie eine Vielzahl sozialer Kämpfe um Klimagerechtigkeit.

Anna Schüler hat an der Konzeption der Karte – die kürzlich in überarbeiteter Fassung erschien – mitgewirkt. Im Zuge der Recherche führte sie zahlreiche Gespräche mit Aktivist:innen weltweit. Soziale Bewegungen begreift sie als einen zentralen Motor für gesellschaftliche Veränderung.

? Warum ist es so wichtig, die weltweiten Kämpfe um Klimagerechtigkeit sichtbar zu machen?

Anna Schüler: Während die eine Seite der Karte eher dystopisch aufzeigt, welche Auswirkungen eine verschärfte Klimakrise hätte und welche Gerechtigkeitskrisen sie befeuert, wollen wir mit der anderen Seite zeigen: Es gibt Antworten darauf! Es gibt Möglichkeiten, den dystopischen Prognosen etwas entgegenzusetzen. Es gibt Bewegungen, die für eine klimagerechte Zukunft kämpfen.

? Die Karte zeigt, wie breit das Spektrum der Kämpfe für Klimagerechtigkeit ist. Welche sozialen Bewegungen werden konkret vorgestellt?

Das sind nicht nur klassische Umweltbewegungen, sondern auch viele Bewegungen, die sich mit Fragen sozialer Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Klimakrise befassen. Dazu gehört etwa die Anti-Pipeline-Bewegung in den USA und Kanada, die insbesondere von den Native Americans getragen wird. Diese Kämpfe stehen in einer langen Tradition antikolonialer Kämpfe. Die Auseinandersetzung um Klimagerechtigkeit reiht sich in diese Tradition sozialer Kämpfe ein. Exemplarisch dafür steht der Slogan der amerikanischen Klimagerechtigkeitsbewegung: "The climate crisis started in 1492." Die Klimakrise wird als Ergebnis der globalen kapitalistischen Ausbeutung verstanden.

? Das Spektrum der auf der Karte dargestellten Bewegungen ist unheimlich breit…

Zum einen porträtieren wir einzelne Gruppen. Dazu gehören etwa die "Alarm Phones" in Nordafrika, die Menschen auf der Flucht unterstützen, sich frei zu bewegen und sicherere Orte lebend zu erreichen. Denn auch beim Thema Bewegungsfreiheit geht es um Klimagerechtigkeit. Zum anderen stellen wir Bewegungen, wie etwa die Anti-Pipeline-Bewegung vor. Sie bestehen aus einer Vielzahl von Gruppen, deren Widerstand an sehr unterschiedlichen Stellen ansetzt.

? Welches Veränderungspotenzial siehst du in sozialen Bewegungen?

Eine wichtige Botschaft der Kämpfe ist: Die Zeit läuft uns davon. Es gibt einen enormen Handlungsdruck! Deshalb ist es so wichtig, das Anliegen der sozialen Bewegungen sichtbar zu machen und zu unterstützen. Ihre Ziele müssen gesellschaftlich sehr viel stärker in den Vordergrund rücken – um tatsächlich substanziell Treibhausgase zu reduzieren und um dafür zu sorgen, dass sich die Gerechtigkeitskrisen im Zusammenhang mit der Klimakrise nicht noch weiter verschärfen. Vor allem braucht es auch positive Visionen. Ganz bewusst haben wir auf der Karte Bewegungen und Kämpfe mit "transformatorischem" Potential abgebildet – etwa weil sie konkrete Vorstellungen einer anderen Ökonomie haben.

? Inwiefern ist eine Karte ein gutes Instrument, um all das abzubilden?

Karten sind leicht zugänglich und stehen für sich selbst. Man muss sich keine langen Texte durchlesen. Und – einmal aufgehängt – begegnet einem eine Karte immer wieder. Idealerweise findet man sie deshalb dort, wo viele Menschen vorbeikommen, die zuvor wenig Berührung mit dem Thema hatten. Die Wahrnehmung der Klimakrise und der mit ihr verknüpften Fragen sozialer Gerechtigkeit kann so verstärkt werden. Toll wäre es, wenn die Karte in vielen Klassenzimmern hängen würde.

? Du hast im Zusammenhang mit deiner Recherche mit vielen Gruppen weltweit gesprochen. Wie ist die Stimmung bei deinen Gesprächspartner:innen, angesichts des dramatischen Tempos, in dem die Klimakrise voranschreitet?

Sehr unterschiedlich. Doch was immer wieder sichtbar wird: Die enorme Dringlichkeit der Krise ist ein zentraler Motor für die Kämpfe. Im Globalen Süden sind die Kämpfe oft existentiell. Wenn es um die eigenen Lebensgrundlagen geht, ist Aufgeben und Resignieren oft keine Option. Dies ist ein Privileg des Nordens. Die Bewegungen hier sind noch kaum von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Wir kämpfen also unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und in sehr unterschiedlichen Traditionen. Es ist wichtig, dass sich die Bewegungen im Norden ihrer Privilegien bewusst machen und diese nutzen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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