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Atommüll: Das strahlende Erbe des Atomzeitalters

Kartenausschnitt Atommmüll in Deutschland

(20.Dezember 2020)  Das Umweltinstitut ist Teil des Trägerkreises des „Atommüllreports“. Ursula Schönberger leitet das Projekt, dass sich als unabhängiges kritisches Fachportal zum Thema Atommüll in Deutschland versteht, seit 2013. Zusammen mit anderen Aktiven gründete sie zudem 2018 das Archiv Atomerbe, dass sich dazu verpflichtet hat die Überlieferung der Antiatom-Bewegung für die Zukunft zu sichern. Im Interview berichtet sie, warum es die Projekte dringend braucht.

? Umweltinstitut München: Liebe Ursula, die Bundesrepublik hat den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Ende 2022 geht der letzte Reaktor vom Netz – so der Plan. Zeit, um auch das Projekt Atommüllreport zu beenden?

Ursula Schönberger: Ganz im Gegenteil! Selbst wenn 2022 der letzte Reaktor abgeschaltet werden wird, gibt es das Problem, dass in Deutschland weiterhin Atommüll produziert wird, zum Beispiel in der Brennelementefertigung in Lingen und der Urananreicherung in Gronau. Zum anderen ist ja mit Ende der Atomkraft das Atommüll-Problem nicht verschwunden. Es wird die Menschheit für die nächsten Millionen Jahre beschäftigen. Deshalb bleibt weiterhin wichtig, sich dem Thema Atommüll zu widmen.

? Warum braucht es gerade jetzt ein unabhängiges kritisches Fachportal?

Schon jetzt schwindet die Aufmerksamkeit für das Thema, der kritische Blick der Bevölkerung. Noch gibt es an fast allen AKW-Standorten Initiativen oder Umweltverbände, die sich um die dortigen Probleme kümmern. Doch mit dem Abschalten des letzten Atomkraftwerkes droht die öffentliche Aufmerksamkeit zurückzugehen. Man denkt, mit dem Atommüll werden wir schon irgendwie fertig. Aber es ist wichtig, genau hinzuschauen. Als Fachportal zeigen wir: Es gibt Probleme mit dem Atommüll, die wir berücksichtigten müssen. Um den Atommüll werden sich vor allem auch die nächsten Generationen kümmern müssen. Ihnen muss die Möglichkeit gegeben werden, auf kritische Informationen zurückzugreifen. Dafür sind wir da. Was die jungen Menschen damit machen, ist Ihre Sache.

? Was genau leistet das Projekt?

Die Basis des Projekts Atommüllreport ist eine umfangreiche Datensammlung, die ständig aktualisiert und erweitert wird. Gestartet haben wir 2013 mit dem Buch „Bestandaufnahme Atommüll“. Darin wurde zum ersten Mal zusammengestellt, wo und unter welchen Bedingungen überall in Deutschland Atommüll liegt. Im Nachgang haben sich dann einige Umweltverbände und Initiativen zusammengetan und gesagt: Das darf keine einmalige Sache bleiben, sondern muss dauerhaft werden. So entstand das Fachportal www.atommuellreport.de, auf dem man zu jedem Standort Daten findet – über den Müll und über die Situation vor Ort.

? Also eine Art aktuelles „Lexikon des Atommülls in Deutschland“?

Ja, Informationen zur Verfügung zu stellen ist das erste von drei Standbeinen des Atommüllreports. Das zweite ist, die fachliche Debatte zu fördern. Dazu führen wir einmal jährlich eine Fachkonferenz durch, zu verschiedenen aktuellen Themen. Atomrecht und Juristisches, Zwischenlagerung hochradioaktiver Abfälle oder schwach- und mittelaktiver Abfälle – da gibt es verschiedene Themen. Diese Tagungen werden gut besucht, es kommen Menschen aus der Anti-Atom-Bewegung, aber auch aus Behörden und Wissenschaft. Das dritte Standbein ist es, die Informationen in die nächste Generation weiterzugeben. Dazu haben wir zum einen eine regelmäßig stattfindende Sommerakademie, die sich insbesondere an Studierende und junge Akademiker:innen richtet, auch mit dem Hintergedanken, potenzielle zukünftige Gutachterinnen und Experten für das Thema zu interessieren und sich auch in dem Bereich zu engagieren und beruflich tätig zu werden.

? Deutschland sucht noch immer ein langfristiges Lager für seinen Atommüll. Was trägt der Atommüllreport zu dieser Debatte bei?

Die Politik und die Behörde zur Standortsuche vermitteln den Eindruck: „Atomenergie ist am Ende. Habt Vertrauen in den Suchprozess. Wir haben ein gemeinsames Anliegen, die Sache zu regeln.“ Doch dieselben Leute, die jetzt Vertrauen einfordern, haben in der Vergangenheit nicht vertrauenswürdig gehandelt und tun es immer noch – dafür gibt es viele Beispiele. Ich denke etwa an Atommüll aus der Uranförderung der Wismut Aktiengesellschaft zu DDR Zeiten (jetzt Wismut GmbH, Anm. d. Red.), der Sachsen und Thüringen oberflächennah lagert, weil man sagt, dass dieser Müll auch nach 30 Jahren noch immer nicht unter das bundesdeutsche Atomrecht fällt. Oder das Zwischenlager Brunsbüttel: Obwohl es gar keine Genehmigung mehr hat, wurden dort weiter Castoren eingelagert und sie lagern dort noch heute. Die Aufgabe des Atommüllreportes ist es, den Menschen, die sich am Prozess der Standortsuche beteiligen, anzubieten: Habt ein gesundes Misstrauen, dann kommen wir insgesamt weiter bei einer verantwortbaren Standortsuche.

? Neben dem Atommüllreport bist du auch eine Treibende Kraft beim „Archiv Atomerbe“. Auch aus dem Umweltinstitut sind zahlreiche Kisten bei Euch archiviert – Dokumente unserer Geschichte und politischen Arbeit seit der Gründung nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986. Was hat dich bewegt, das Archiv Atomerbe zu starten?

Das Wissen, dass viele Aktive der Anti-Atom bereits ein hohes Alter erreicht haben. Wenn sie erst mit 70 oder 80 Jahren anfangen darüber nachzudenken, was mit atompolitischen Materialien geschehen soll, die sie im Laufe ihres Lebens angesammelt haben, droht das Material weggeworfen zu werden. Wir erfahren ein reges Interesse von Menschen, Unterlagen ans Archiv abzugeben. Sie sind dankbar, dass ihre Unterlagen sinnvoll aufgehoben sind. Der ganz praktische Anlass zur Gründung des Archivvereins war die Schließung des Gutachterbüros Intac, auch aus Altersgründen, dessen Bestand zur Auseinandersetzung um Atomkraft wir unbedingt erhalten wollten.

 

? Gibt es nicht zahlreiche staatliche Archive, die das Themenfeld Energiepolitik abdecken?

Nein, so etwas gibt es nicht. Es gibt einzelne freie Archive, wie das Gorleben-Archiv, das sich auf den Standort Gorleben konzentriert. Einige Soziale Archive haben Teilbestände zum Thema Anti-Atom. Und auch in den Bundesländern gibt es Staatsarchive, die zu bestimmten Themen archivieren – in Bayern beispielsweise wird thematisch zur Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf archiviert. Staatsarchive tun sich jedoch in der Regel schwer mit solchen Sammlungsbeständen, die ja sehr viel graue Literatur, wie Flugblätter beinhalten.

? Ein bundesweites Anti-Atom-Archiv mit einem entsprechenden Sammlungsschwerpunkt gab es also bislang nicht?

Ein großes Manko. Die Anti-Atom-Bewegung ist ja eine der wichtigsten Bewegungen der Bundesrepublik gewesen. Ich bin überzeugt davon, dass Historikerinnen und Historiker glücklich sein werden, dass sie auf Originaldokumente zurückgreifen können – seien es Flugblätter, Anleitungen zur Organisation von Demonstrationen oder Vereinsgeschichten. Es ist wichtig, dass die Überlieferung der Auseinandersetzung um Atomkraft erhalten bleibt, und zwar nicht nur die staatliche, sondern unsere eigene. Von daher hätte das Archiv schon viele Jahre früher gestartet werden können, und ich bin froh, dass wir es jetzt getan haben!

? Was steht im nächsten Jahr für Dich im Archiv und im Atommüllreport an?

Im Archivverein wollen wir erreichen dass Nutzer:innen des Archivs digital auf Material zugreifen können. Dazu haben wir einen Förderantrag im Rahmen des Corona-Hilfsfonds „Neustart Kultur“ gestellt. Beim Atommüllreport steht im nächsten Jahr eine Neuauflage der Bestandaufnahme an, die inzwischen doch sehr umfangreich geworden ist. Im Herbst werden wir ihn der Öffentlichkeit präsentieren. Im Sommer soll es wieder eine Sommerakademie geben, ob nun als Präsenzveranstaltung oder hybrid, dass wird sich danach richten, was die Pandemiebedingungen zulassen.

Wir drücken die Daumen und freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit auch im nächsten Jahr!
Vielen Dank für das Gespräch!

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