Wird eine gute Idee zur Bremse für Umwelt- und Verbraucherschutz?
(7.11.2018) Die EU-Kommission hat einen Gesetzesvorschlag gemacht, um die Landwirtschaft gegenüber der lebensmittelverarbeitenden Industrie und dem Lebensmitteleinzelhandel zu stärken. Doch in den Verhandlungen mit dem Europaparlament und den Regierungen der Mitgliedstaaten könnte aus dem sinnvollen Vorschlag eine radikale Bremse für Umwelt- und Verbraucherschutz werden.
"Quer: Lehrstück in Lobbyismus in der EU (UTP-Richtlinie)"
Wer Milch produziert, ist fast schon automatisch in einer schlechten Position auf dem Markt. Die Kühe müssen jeden Tag gemolken werden. Die frische Milch ist nicht lange haltbar. Selbst gekühlt verdirbt sie schnell. Betriebe, die Milchvieh halten, können ihr Produkt nicht bei schlechten Preisen zurückhalten und auf bessere Zeiten warten oder die Produktion bei Preisschwankungen schnell drosseln und später wieder erhöhen. Dies führt dazu, dass sie oft Verträge mit ihren Molkereien haben, die ProduzentInnen in anderen Teilen der Wirtschaft niemals akzeptieren würden. Sie sind eng an ihre Molkerei gebunden, erfahren aber erst Wochen nach der Anlieferung der Milch, welchen Preis sie bekommen.
Auf der anderen Seite der Lieferkette stehen die wenigen, riesigen Ketten des Lebensmitteleinzelhandels wie die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), ALDI, Edeka (wozu auch Tengelmann und Netto gehört) oder Rewe. Ihre große Marktmacht ermöglicht es, ihre Zulieferfirmen gezielt gegeneinander auszuspielen und die Preise zu drücken.
Gegen die schlimmsten Auswüchse der ungleichen Marktmacht beim Lebensmittelhandel möchte nun die EU-Kommission nach Jahren der Diskussion vorgehen. Die von ihr vorgeschlagenen Richtlinie gegen "unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette" soll zum Beispiel verboten werden, LieferantInnen von verderblicher Ware erst lange nach der Anlieferung zu bezahlen oder Vertragsbestimmungen und Preise einseitig nachträglich zu ändern. Im EU-Jargon wird sie die "UTP-Richtlinie" genannt, weil unlautere Handelspraktiken, englisch unfair trading practices, mit UTP abgekürzt wird.
Das Europaparlament hat den Vorschlag in einem Schnellverfahren behandelt, damit er noch vor der Europawahl Ende Mai 2019 in Kraft treten kann. Deshalb hat vorerst nur der Agrarausschuss des Parlaments darüber abgestimmt. Und dort haben auch Änderungsvorschläge eine Mehrheit gefunden, die es in sich haben.
Insbesondere zwei Vorschläge des oberpfälzer CSU-Abgeordneten Albert Deß könnten die Richtlinie so stark in eine andere Richtung drehen, dass sie sogar komplett scheitert. Der eine würde Zusammenschlüsse des Lebensmittelhandels zu Einkaufsgemeinschaften als unfaire Handelspraktik verbieten - und damit die als Genossenschaften organisierten Supermarktketten wie Edeka in Deutschland oder Coop in Italien komplett zerschlagen. (In der Position des Parlaments unten finden Sie diesen Vorschlag unter Nummer 56.)
Für uns interessant ist jedoch vor allem ein Änderungsvorschlag, der es verarbeitenden Betrieben oder dem Lebensmitteleinzelhandel verbieten würde, "Bestimmungen zu Umweltschutz-und Tierschutznormen" festzulegen, die "strenger als die einschlägigen geltenden gesetzlichen Bestimmungen sind". (Dieser Vorschlag hat in der Datei unten die Nummer 65.) Wird er Gesetz, wäre es zum Beispiel eine "unfaire Handelspraktik", wenn
- eine Molkerei nur noch Milch von Betrieben annimmt, die kein Glyphosat einsetzen.
- ein Discounter nur Milch mit dem Label "Ohne Gentechnik" verkauft.
- eine Supermarktkette festlegt, dass sie nur Obst annimmt, auf dem deutlich weniger Pestizidrückstände zu finden sind, als die Grenzwerte erlauben.
Die Folge wäre, dass mehr gespritzt wird, mehr Gentechnik aus Südamerika importiert wird und die Macht der VerbraucherInnen, für Fortschritt zu sorgen, massiv beschnitten wäre. Als dieser Vorschlag im Agrarausschuss überraschend eine Mehrheit fand, wandten wir uns in einer E-Mail an Abgeordnete, um das Schnellverfahren zu stoppen. Doch dafür gab es keine Mehrheit. Unter anderem, weil eine Verzögerung des Verfahrens wahrscheinlich das Ende der Richtlinie bedeutet hätte.
Womöglich war genau das das Ziel von Albert Deß: Die Richtlinie so schnell wie möglich zu beerdigen. Immerhin ist der Abgeordnete nicht nur Landwirt, sondern auch Vorstandsvorsitzender einer international tätigen Molkerei mit über einer Milliarde Euro Umsatz pro Jahr sowie Mitglied im Aufsichtsrat mindestens einer weiteren Molkerei.

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In Kürze beginnt nun der Trilog, in dem die EU-Kommission, das Europaparlament und der Rat der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten über die Vorschläge beraten. Über das Ergebnis dieser Verhandlungen müssen anschließend sowohl der Rat als auch das Parlament abstimmen, damit daraus geltendes Recht wird. Die Abstimmung im Europaparlament wird noch vor der Wahl im Mai 2019 erwartet.
Die Richtlinie hat mächtige Gegner: Die großen Supermarktketten und Molkereien zum Beispiel hätten am liebsten, dass sie niemals in Kraft tritt. Es ist möglich, dass einige Abgeordnete absichtlich schlechten Änderungsvorschlägen zugestimmt haben, um den Widerstand zu vergrößern, damit die Richtlinie am Ende doch noch scheitert.
Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, sich in den Verhandlungen mit der Kommission und dem Parlament für eine Richtlinie einzusetzen, die die Bäuerinnen und Bauern stärkt, ohne Umwelt- und Verbraucherschutz auszubremsen. Noch ist eine solche Lösung möglich.
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