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Gutachten: Energiecharta-Vertrag widerspricht europäischem Recht

Das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg - Foto: Hullie | Wikipedia.de

Das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg. Gäbe es die Energiecharta nicht, würden hier schärfere Umweltschutzauflagen gelten. Bild: © Ajepbah / Wikimedia Commons

(28.2.2018) Der Vertrag über die Energiecharta ermöglicht spektakuläre juristische Auseinandersetzungen. Derzeit läuft vor einem Schiedsgericht in Washington ein Verfahren, bei dem Vattenfall wegen des deutschen Atomausstiegs Schadensersatz in Höhe von 4,7 Milliarden Euro von der Bundesrepublik verlangt. Bereits im Jahr 2008 konnte Vattenfall über die Energiecharta Umweltauflagen für sein Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg verwässern. 

Um über das Abkommen aufzuklären, veröffentlichte das Umweltinstitut München im Frühling 2017 ein ausführliches Dossier über den Vertrag. Im Zuge der Recherche zur Energiecharta stießen wir dabei auf die Frage, ob das Abkommen überhaupt mit europäischem Recht vereinbar ist. Schließlich ermöglicht es Fälle, in denen Unternehmen aus Mitgliedstaaten der EU die Regierung eines anderen Mitgliedstaats auf Schadensersatz verklagen. Dabei ist weder der Europäische Gerichtshof in Luxemburg beteiligt, noch kann ausgeschlossen werden, dass ein Mitgliedstaat einfach wegen der Umsetzung europäischen Rechts verklagt wird. Die EU-Kommission geht deshalb gegen bilaterale Investitionsschutzverträge zwischen den Mitgliedstaaten vor.

Vor diesem Hintergrund beauftragte das Umweltinstitut München ein Rechtsgutachten, um zu klären, ob Investitionsschutzverfahren zwischen EU-Mitgliedstaaten auf Basis des Vertrags über die Energiecharta mit EU-Recht vereinbar sind. Die AutorInnen des Gutachtens kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: "Die Schiedsklausel des Energiecharta-Vertrags ist in einigen Punkten mit dem EU-Recht nicht vereinbar."

Energiecharta? Kündigen!
Das Logo der Energiecharta, durchgestrichen

Die beiden WissenschaftlerInnen suchen in ihrem Gutachten auch nach Möglichkeiten, die Unvereinbarkeiten aufzulösen. Da jedoch neben den Mitgliedstaaten auch die EU selbst und mehrere Staaten außerhalb der Union den Vertrag ratifiziert haben, ist das äußerst kompliziert. Einer Reform des Vertrags müssten alle Vertragsparteien zustimmen.

Das Umweltinstitut München fordert deshalb die deutsche Bundesregierung auf,

  • das Abkommen zu kündigen. Eine Kündigung ist einseitig möglich und nicht mit Nachteilen verbunden. Italien hat den Vertrag über die Energiecharta zum 1.1.2016 gekündigt.
  • im laufenden Verfahren vor dem Hintergrund der rechtlichen Widersprüche alle ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausschöpfen.
  • Vattenfall auf keinen Fall einen Schadensersatz zu bezahlen, der über Ansprüche hinausgeht, die das Bundesverfassungsgericht den Atomkonzernen zugesteht.
Wie geht es weiter?
  • Das Urteil des Schiedsgerichts in Washington wird innerhalb der nächsten Wochen erwartet. Die Bundesrepublik könnte zu bis zu 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz verdonnert werden. Auch ein Vergleich ist möglich. Ein solcher könnte auch ein Entgegenkommen der Bundesregierung in anderen Sachfragen beinhalten, wie z.B. bei Kohlekraftwerken oder der Übertragung von Reststrommengen. Es ist auch möglich, dass das Schiedsgericht den Anspruch von Vattenfall gänzlich verwirft.
  • Die Bundesregierung hat noch bis Ende Juni Zeit, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen und sich mit den Atomkonzernen zu einigen. Das höchste deutsche Gericht hat den Atomkonzernen zwar einen grundsätzlichen Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen, doch in erheblich geringerem Umfang als von Vattenfall gefordert. Außerdem erkannte es grundsätzlich den Eingriff in das Eigentum der Konzerne in Abwägung mit anderen Grundrechten als legitim an: "Die vom Gesetzgeber (…) angestrebte Beschleunigung des Atomausstiegs dient (…) dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung." 
  • Wir werden mit unserem Gutachten und den Hintergrundinformationen an JournalistInnen und Abgeordnete herantreten, um eine grundsätzliche Diskussion über den Vertrag ins Rollen zu bringen.
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